05.07.2013 — Nun gehen in der Deutschschweiz die Diskussionen um den Lehrplan 21 los. Eine Kernfrage: Wieviele Fremdsprachen sollen an der Volksschule unterrichtet werden, und falls es bloss eine wäre, müsste der Französischunterricht dann hinter dem Erwerb des Englischen zurückstehen? Die Auseinandersetzungen widerspiegeln die Spannungsfelder, in denen die Schweiz operieren muss, zwischen nationaler Kohäsion (via Kenntnis der Landessprachen) und globaler Wettbewerbsfähigkeit (mit Englisch als Voraussetzung).
So oder so: Für Welsche dürfte es immer weniger selbstverständlich werden, Deutsch zu lernen, um der nationalen Kohäsion Genüge zu tun; dito für die Deutschschweizer: Französisch ist heute weitaus weniger sexy für den Nachwuchs, als es dies im 20. Jahrhundert noch war. Französische Kultur als Sehnsuchtsort für Kultiviertheit, Weltläufigkeit, Lebensart und Glamour hat an Anziehungskraft verloren.
Damit wird die Musik als Mittel der regionalen Verständigung und des Austausches einen immer höheren Stellenwert erhalten. In dieser Hinsicht muss man voneinander zuerst überhaupt mal Kenntnis nehmen. Schon nur die Einsicht, dass «Volksmusik» in der Deutschschweiz anderes abdeckt, als «Musique Populaire» in der Romandie, ist erhellend. Auf der Kompilation, die Musiques Suisses, das Label des Migros-Kulturprozents präsentiert, zeigt sich die Spannweite, die von Einflüssen aus dem französischen Umland über die spezielle Rolle des Akkordeons, das hochstehende Chorwesen ‒ es ist vermutlich lebendiger und vitaler als in der Deutschschweiz ‒ bis zu den Harmoniemusiken reicht.
Die CD ermöglicht Begegnungen mit Forschern und Experimentatoren wie Musica Dinche, die sich der traditionellen Musik der frankoprovenzialischen Alpen verschrieben hat, oder dem Duo Pellaux, das an jurassische Traditionen anknüpft. Etliche der vertretenen Ensembles entwickeln aber auch eine ehrgeizige internationale Tätigkeit, etwa das Ensemble Ambitus, das an der Weltmeisterschaft der Brass Bands im holländischen Kerkrade teilnimmt, oder der Choeur du Collège St-Michel, der sich zeitgenössischer Volksmusik ebenso widmet wie der Teilnahme an internationalen Wettbewerben.
Andere wiederum machen es sich gerne zum Ziel, das heutige Repertoire mit eigenen Kreationen und Kompositionsaufträgen zu erweitern, Chanson de Fribourg etwa, das Werke seines Leiters Pierre Huwiler aus der Taufe hebt, oder die Musikgesellschaft L’appel du Manoir, die eine Eigenkomposition seines Dirigenten Etienne Crausaz präsentiert. Das Octuor Vocal de Sion singt heute gar nur noch speziell für es komponierte oder adaptierte Stücke von Komponisten aus dem Wallis oder anderen Regionen der Schweiz.
Die CD ermöglicht Deutschschweizer Interessenten eine Fülle an Entdeckungen. Und wer weiss: Vielleicht motiviert sie den einen oder die andere auch wieder dazu, das Schulfranzösisch wieder etwas aufzubessern. (wb)
La musique populaire en Suisse romande. Musiques Suisses, MGB-NV 25.