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Giuliano Carmignola: Vivaldi con moto

10.05.2013 — Strawinsky zufolge soll Vivaldi bloss ein einziges Konzert vielhundert Mal geschrieben haben. Die absoluten Zahlen, die er genannt haben soll, reichen in den zahlreichen Internet-Paraphrasen des Bonmots von 400 bis 600 (man könnte es ja auch abwandeln und behaupten, auf 500 Webseiten werde 500 Mal dasselbe über Strawinsky falsch erzählt, aber das wäre ein Themawechsel, den sparen wir uns). Faktisch hat Vivaldi rund 500 Konzerte geschrieben, das hat Strawinsky gemeint. Aber gesprochen hat er im Originalzitat – es findet sich in den Gesprächen mit Robert Craft – vermutlich bloss von «vielen Mal». Wie dem auch sei, Vivaldi wird vermutlich genauso häufig aufgenommen wie Mozart, Beethoven, Bach, und schon nur 500 Mal 500 Mal das gleiche Konzert in Polycarbonat ergäbe 250‘000 Mal das gleiche Konzert auf Silberscheiben, wär‘ ja nicht auszuhalten.

Das würde bedeuten, Vivaldi falsch zu verstehen, was man mit Blick auf den flapsigen Kommentar auch Strawinsky unterstellen kann. Vivaldis Konzerte sind keine Opus-Werke, es sind Folien mit leicht fasslichen, aber überaus erfindungsreichen und unterhaltsamen Schemata. Man kann sie nutzen wie die Zeichnungsvorlagen für Kinder, welche diese selber ausmalen können. Da entstehen dann, trotz der schematischen Vorlagen die unterschiedlichsten und originellsten Bilder – und so ist es mit den Vivaldi-CD landauf, landab. Ein überaus buntes Herbarium kommt da zusammen.

Das gilt auch für «Vivaldi con moto» des Geigers Giuliano Carmignola und der Accademia Bizantina unter der Leitung von Ottavio Dantone. Im Booklet macht der Publizist Olivier Fourés allerdings auch darauf aufmerksam, dass Vivaldi «sehr genaue Angaben zu Dynamik, Artikulation, Phrasierungen und Tempi» gemacht habe, und dass er «bestimmte Klangfarben» fordere. Er habe damit allerdings die Freiheit der Interpreten nicht beschneiden wollen, sondern ihnen Mittel in die Hand gegeben, «noch grössere interpretatorische Freiheit zu» finden.

Die reizt Carmignola denn auch aus. Sein Spiel ist getränkt mit Musikantik, wirkt improvisierend ohne Angst vor Unsauberkeiten, die denn auch nie falsch, sondern vielmehr sehr lebendig und stimmig wirken. Die Aufnahmen sind im Juni 2012 entstanden, in der Nähe schwerer Erdbeben, welche die Region in dieser Zeit erschüttert haben. Es sei für alle Beteiligten eine wirklich sehr emotionale Zeit gewesen, schreibt Carmignola im Booklet. Hört man sich die Aufnahmen an, glaubt man ihm das auch. (wb)

Giuliano Carmignola: Vivaldi con moto, Accademia Bizantina, Ottavio Dantone, Konzerte RV 281, 187, 232, 283, 254, 243. Archiv Produktion/Universal 479 1075

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