18.01.2013 — Wir tun mal etwas für die Freunde der gehobenen Blasmusik. Das trifft sich gut, da kann man nämlich auch gleich Alternativen zur offiziellen CD des offiziellen Neujahrskonzert der allerbesten Wiener Philharmoniker mit dem – tja, wie soll man nun ihn charakterisieren? – Dirigenten Franz Welser-Möst anbieten. Wenn man so in den Onlineforen rumsurft, scheint klar, dass nicht alle mit dem eher distanzierten und eher gequält humorvollen Dirigenten des Jahresanfangs glücklich sind. Zu den ganz grossen Sternstunden des grössten Klassikanlasses aller Zeiten – aktuell mal wieder unter Nazi-Nähe-Verdacht – wird die Ausgabe 2013 trotz Verdi und Wagner als Debütanten also kaum zählen.
Da gab’s in der Ausstrahlung aus Wien aber eben auch den Hinweis auf viel Blech, pardon «PhilBlech», eine Blasmusikformation, die sich folgendermassen selber beschreibt: Ihre Mitglieder sind auch solche der Wiener Philharmoniker beziehungsweise der Staatsoper, oder sie sind von Angehörigen des Orchesters ausgebildet worden und «repräsentieren somit sowohl die philharmonische Blechblas- und Schlagwerktradition, die sich durch weichen, obertonreichen Klang auszeichnet, als auch den charakteristischen Musizierstil, der aufgrund der Operntätigkeit nicht zuletzt von der permanenten Konfrontation mit der vox humana geprägt ist».
Wiener Bläserklang, das ist ja so eine Sache. An Bearbeitungen, etwa der «Zauberflöte»-Ouvertüre oder Auschnitten aus Mahler- und Bruckner-Sinfonien oder Wagner-Musikdramen lässt es sich überprüfen. In der Pause der Übertragung des Neujahrskonzertes aus Wien hat’s eine Dokumentation zur Entstehung der vorliegenden CD gegeben. Wer also mit Welser-Möst und Wiener Streicherschmalz nicht so recht warm wird, dem dienen hier sozusagen die apokryphen Aufnahmen mit dem wahren Wiener Klang zum Megaanlass.
Etwas weniger im Fokus der Weltöffentlichkeit als das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker aber nicht minder hochkarätig ist das Neujahrskonzert der Staatskapelle Dresden, die alle Jahre wieder in Erinnerung ruft, dass die ostdeutsche Metropole ein Gravitationszentrum der Operettenkunst ist. Statt ORF- wird da ZDF-Kultur zelebriert. Die fidele Kapelle begleitet die Sopranistin Ingeborg Schöpf (völkerverbindend aus der Steiermark) und den Tenor Piotr Beczala, der auch mit Zürich eng verbunden ist. Schöpf ist kurzfristig für Diana Damrau eingesprungen, die kurz vor dem Auftritt erkrankt ist. Wahrlich ein würdiger Ersatz.
Ein Operettenkonzert ohne Gesangssolisten ist undenkbar. In Dresden ist der Anlass auch ohne den Dirigenten Christian Thielemann undenkbar. Aus seiner Teilnahme konstruiert das Booklet nach der vierten (!) Durchführung eine Tradition. So kurzfristig wird heute gedacht. Der Trick: Zuvor strahlte das ZDF sein mit 33 Jahren tatsächlich traditionelles Silversterkonzert aus der Berliner Philharmonie aus. In Dresden sollte daher nicht von Tradition gesprochen werden, sondern viemehr von Neuanfang. Der ist aber auch wirklich gelungen. (wb)
phil Blech Wien. Deutsche Grammophon/Universal, Best.-Nr 0028948101306.
Happy New Year. Die Operettengala aus Dresden. Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann (Leitung), Ingeborg Schöpf (Sopran), Piotr Beczala (Tenor). Deutsche Grammophon/Universal, Best.-Nr 4790929