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Orchestermusik aus dem Aargau

23.11.2012 — Man kann in den ruralen Motiven in der Schweizer Kunstmusik der Spätromantik und des 20. Jahrhunderts Schwärmerei fürs naturverbundene einfache Leben und nationalistische Nebenklänge hören. Das Nationalistische tritt allerdings etwas in den Hintergrund, wenn man bedenkt, dass die Verarbeitung von Schweizer Volksliedgut und -ambiente seinen Ausgang bei Grössen wie Brahms und Liszt nimmt. Später entsteht eine nach wie vor unterschätzte lokale Tradition, die sich über Hans Huber, Hermann Suter, Othmar Schoeck, Arthur Honegger und viele andere bis zu Emigranten wie Strawinsky und Bartok fortsetzt.

Faszinierend daran ist die Authentizität des Volksverbundenen. Es zeigt sich auch daran, dass Tonschöpfer wie Richard Flury, Stephan Jäggi oder Casimir Meister in Solothurn, Othmar Schoeck in Zürich oder Hermann Suter im Aargau auch hochklassige Werke für Laien – in erster Linie Laienchöre – geschrieben haben. Von Suter etwa stammt ein Männerchor-Satz des ältesten Kuhreihens der Schweiz, «Es isch kei sölige Stamme», den er auch zum Auftakt des vierten Satzes seiner Sinfonie d-Moll op. 17 zitiert.

Die Rückgriffe auf Volkskultur sind in dieser Epoche der Schweizer Kunstmusik mehr als aufklärerische Schwärmerei, sie sind Ausdruck der sich formierenden direkten Demokratie und des Misstrauens gegenüber elitärer Prätention und damit auch ästhetisches Bekenntnis. Äussern tut sich dies auch in einer kernigen Art des Humors, etwa wenn Suter seinen bärndütschen Lieblingsspruch «Mir wei se de einisch ga reiche» als Posaunenmotiv in die Sinfonie hineinschneidet.

Die Sinfonie ist mehr schmissige Tondichtung als abstrakte Auseinandersetzung mit einer Form, gut geerdet, sehr effektvoll und dennoch von hohem musikalischem Geschmack. Das gilt nicht minder für die «Chilbizite» von Suters Schüler Werner Wehrli, eine «Lustige Ouvertüre», die von Ernst Ansermet auch in der Welschschweiz in die Konzertsäle gebracht worden ist, hier aber erstmals auf CD eingespielt vorliegt.

Die CD leistet sich das Aargauer Symphonie Orchester (ASO) anlässlich seines 50-Jahre-Jubiläums. Staat und Private haben dem Ensemble dabei kräftig unter die Arme gegriffen. Die Mitglieder des Klangkörpers werden nämlich pro Einsatz entlöhnt, was die Kosten für ein derartiges Unternehmen nicht gerade senkt.

Eine bessere Visitenkarte hätte der «Kulturkanton» nicht abgeben können. Da wird auf sehr hohem Niveau und lustvoll-musikantisch gefeiert. Britischen Dirigenten sagt man nach, dass sie weitaus weniger Berührungsängste mit populärer Orchestermusik haben als ihre kontinentalen Kollegen. Es mag sein, dass mit dem ASO-Chefdirigenten Douglas Bostock da auch deshalb der richtige Mann den Stab führt. Einer, der diese Art von Musik so ernst nimmt, wie sie es verdient. Auf die musikalische Substanz vertrauend, schafft er ein klar konturiertes, präzises und hochenergetisches Klangbild.

Am 28. April 2013 feiert das ASO seinen runden Geburtstag mit einem Jubiläumskonzert, in dem nur Werke Aargauer Komponisten erklingen: solche von Walter Geiser, Peter Mieg, Heinrich Sutermeister, Janos Tamas, Ernst Widmer sowie vom derzeitigen Composer-in-residence Dieter Ammann. Auch da wird es Entdeckungen zu machen geben. (wb)

Hermann Suter: Sinfonie d-Moll op. 17, Werner Wehrli: Chilbizite. Aargauer Symphonie Orchester, Douglas Bostock (Leitung). Musiques Suisses, MGB CD 6274.

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