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Alles Walzer! Oder was?

13.04.2012 — Harnoncourt lässt es krachen. Er ruft nicht nur eine «Walzer Revolution» aus, sondern peppt den Dreivierteltakt so auf, dass die Tänze eher nach knalligem Holzboden, denn nach dem während des Wiener Kongresses neu erfundenen Parkett klingen. Von einer Walzer-Revolution zu sprechen, mutet aber auch sonst gewagt an, ist doch der Gesellschaftstanz, mit dem das steife und distanzierte höfische Menuett von einem erotisch angehauchten Paarritual abgelöst wird, Symbol der bürgerlichen Restauration.

Gemeint ist die Revolution ein wenig anders. Nikolaus Harnoncourt bedient damit das eigene Image des Umkreplers von Spiel- und Hörgewohnheiten mit den Mitteln des historisch informierten Musizierens. Der charismatische Pionier dieser Attitüde schlägt hier mit seinem Concentus Musicus Wien den Bogen von Mozarts Kontretänzen bis zum ausgereiften lannerschen und strausschen Konzertwalzer.

Für viel Farbe sorgen dabei etwa zehn verschiedene Trompeten-Typen und fünf Klarinetten-Varianten – sowie eine Motorik und klangliche Akzentsetzung, die der kraftvollen Gründerzeit wohl eher entspricht als die vibrato-geglätteten Weichspülereien des 20. Jahrhunderts.

Selbstverständlich hat sich – wie das so seine Art ist – Harnoncourt in Origialmanuskripten der Zeit kundig gemacht, ursprüngliche Besetzungen und Spielarten rekonstruiert und etwa für die Mozart-Tänze auch die originale Sitzordnung wieder hergestellt. Das Resultat ist farbige, mitunter bodenständig-knallige Musik für ein Publikum, das sich gerne bewegt und sich offensichtlich voller Lebensfreude und Vitalität im Ausgang verlustieren will.

Die aufführungskritische Auseinandersetzung mit dem Wiener Walzer hat allerdings selber bereits seine Geschichte. Schon seit vierzig Jahren – nämlich seit 1972 – etwa widmet sich das von Arthur Kulling gegründete Alt-Wiener Strauss Ensemble in der Kammerbesetzung von elf Unverzagten dem Dreiermetrum – mit dem Ohr am Klang der Ur-Kapelle des Walzer-Vaters Johann Strauss. Es legt zum Jubiläum eine CD mit Aufnahmen aus dem Jahr 2007 neu auf: «Alles Walzer! Oder was?» mit Werken der Strauss-Dynastie, Rossinis (eine charmante Taschenausgabe der Ouvertüre zur «Italienerin in Algier»), Waldteufels und anderen.

Naturgemäss wird hier filigraner musiziert als vom Concentus Musicus, mit liebenswürdiger Schwelgerei und Spielwitz. Soviel davon hat das Ensemble, dass es auf die CD gleich auch noch «The Typewriter» packt, Leroy Andersons legendäre Nummer für das Boston Pop Orchestra mit einer Schreibmaschine als ratternde Solistin. Die ist ja mittlerweile selber ein nostalgisches Auslaufmodell der Mediengeschichte. (wb)

Nikolaus Harnoncourt, Concentus Musicus Wien: Walzer Revolution. From Mozart’s Dances to Lanner and Strauss. Sony Classics, Best.-Nr. 88697914112.
Alt-Wiener Strauss Ensemble: Alles Walzer! Oder was? Werke von Strauss, Waldteufel, Anderson u.a. Edition Hera Hera 02009.

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