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Solos und so von Jarrett und Corea

17.02.2012 — Mit dem legendären «Köln Concert» hat der Jazzpianist Keith Jarrett 1975 die Form der abendfüllenden Solo-Jazzimprovisation neu definiert (nicht zuletzt, weil er von einem deutlich weniger als erstklassigen Flügel kreativ herausgefordert wurde). Vergleichbare Solokonzerte hat er später auch in zahlreichen japanischen Städten, in Paris, Wien, Bregenz, München, in Mailand (an der Scala) und London gegeben, und alle sind sie vom Münchner Edellabel ECM ins Polycarbonat gebrannt worden.

Nun hat sich Jarrett auch in Brasilien alleine auf die Bühne gewagt. In São Paulo mit weniger Glück, in Rio de Janeiro, bei den warmherzigeren und begeisterungsfähigeren Cariocas in alter Frische. Da finden sich die typischen Jarrett-Lyrismen (inkl. Mitsingen und -stöhnen), das charakteristische Arbeiten mit kleinen rhythmischen Zellen und melodischen Motiven. Sie fügen die zwischen drei und neun Minuten langen Stücke zu Abfolgen zusammen, die etwas an barocke Tanzsuiten denken lassen oder Mendelssohns «Lieder ohne Worte».

«Part VII» erinnert in gewisser Hinsicht gar an ein Chopin-Charakterstück, allerdings mit Melismen über Jazzskalen, einer der inspiriertesten Momente der Doppel-CD. Wirklich Neues hört man in «Rio» kaum, ab und zu scheint sich Jarrett mittlerweile immer auch wieder selber zu zitieren. Der Gig vom 9. April 2011 im Teatro Municipal unter dem Zuckerhut bietet aber doch einiges an Hörvergnügen.

Auch von Jarretts Alter Ego Chick Corea gibt’s Neuigkeiten: Auf dem Album «The Continents» stellt er ein «Concerto for Jazz Quintet & Chamber Orchestra» vor, das er im Juni 2011 in den Manhattan Center Studios mit einem Ad-hoc-Ensemble eingespielt hat. Die CD bestärkt den Eindruck, dass Corea nicht als Komponist in die Musikgeschichte eingehen wird, schon gar nicht als notenschreibender Wanderer zwischen den Welten. Seine Behandlung des klassischen Klangkörpers mutet unbeholfen an, etwa so, wie wenn Studierende am Sequencer Motive zusammenstückeln und mehr oder weniger beliebig instrumentieren.

Schon nach der Eingangsfanfare ist klar, auf was das Ganze hinausläuft. Es gibt da viel melodische Motorik, die ohne den subtilen Klangkosmos des Orchesterapparates auszunutzen, mehr oder weniger willkürlich auf die Register verteilt wird, immer wieder auch Unisonopassagen, die in reinen Jazzarrangements reizvoll und stimmig wirken, hier aber bloss (buchstäblich) einfältig. Über dieses Concerto ist man versucht, das Mäntelchen der Barmherzigkeit zu legen.

Und dennoch lohnt sich der Kauf des Albums wegen der «B-Seite», wenn man so will, der zweiten CD, auf der Improvisationen der Jazzquintetts und Coreas am Flügel solo nachgeschoben werden, die am Rande der Aufnahmesession entstanden sind.

Da hört man entspannt-witziges Interplay, das etwas an eine Wynton-Marsalis-Formation erinnert, und als Höhepunkt eine fantasiereiche Interpretation des Klassikers «Blue Bossa» (hier rhythmisch wohl eher eine «Blue Habanera» oder «-Milonga»). Die CD schliesst ab mit wunderbaren Miniaturen Coreas, die verspielter und weniger emphatisch, und dennoch hintergründiger klingen als Jarretts Sololäufe.

Zeitgleich mit «The Continents» macht die Deutsche Grammophon ein Album wieder verfügbar, dass Corea mit dem (1993 bei einem Autounfall) leider viel zu früh verstorbenen zypriotischen Pianisten Nicolas Economou auf zwei Klavieren eingespielt hat – anlässlich des Münchner Klaviersommers 1982. Diese Silberscheibe mixt im Gegensatz zu den etwas brachial ineinandergeschobenen Kontienten Jazz und Klassisches auf gelungene Art: Improvisationen und Kompositionen Coreas werden da durch sechs Stücke für zwei Klaviere aus Bartoks «Mikrokosmos» ergänzt.

Keith Jarrett: Rio, Doppel-CD, ECM/Universal 2198/99.
Chick Corea: The Continents, Concerto for Jazz Quintet & Chamber Orchestra, Doppel-CD, Deutsche Grammophon/Universal, Best.-Nr. 477 9952.
Chick Corea & Nicolas Economou: On Two Pianos, Deutsche Grammophon/Universal, Best.-Nr. 479 0011.

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