11.11.2011 — Vor der letzten Konsequenz ist sie offenbar zurückgeschreckt: Auf der als Reverenz an Maria Callas gedachten CD fehlt «Casta Diva», das Schlüsselstück des Repertoires der griechischen Sängerin. Angela Gheorghiu mag das mit der Tatsache rechtfertigen, dass sie vor zehn Jahren schon eine CD mit dem Titel der Bellini-Arie veröffentlicht hat. Die Rumänin kokettiert aber durchaus mit dem Vergleich. Im Booklet finden sich Fotos, in denen sie sich neben historischen Aufnahmen der Diva Assoluta nach dem Vorbild inszeniert.
Feine Details machen den Unterschied: Schweifen die Augen der Callas bedrückt in die Ferne, blickt Gheorghiu dem Betrachter leicht kokett direkt ins Gesicht. Mutet das Profil der Griechin an wie eine in sich ruhende Büste, trägt die Rumänin die Nase hoch. Wird der Blick des Betrachters beim Brustbild der schulterfrei gekleideten Callas zu den intensiven Augen gezwungen, wendet die Nachgeborene dem Beobachter mit einer appellativen Geste der Hand die nackte Schulter hin.
Ähnlichkeiten zwischen den beiden Sängerinnen sind bloss oberflächlicher Natur, oder wie die Ikonografie enthüllt, die eine bloss ein launischer Nachhall der andern. Gheorghiu mag über die bessere Technik verfügen als die Callas, gar die differenzierteren Gestaltungsmittel und eine geschmeidigere Stimme. Die Intensität, Authentizität und Dramatik der Vorgängerin erreicht sie allerdings nicht, nicht in Titeln wie «L’amour est un oiseau rebelle« aus Carmen, nicht in «Ebben? Ne andró lontana» aus Catalanis La Wally und auch nicht in all den andern Arien aus dem Spätrepertoire der Callas.
Selbst zwischen den Biografien – auch wenn sie zur sängerischen Leistung wenig beitragen mögen – liegen Welten: Dort die sich verzehrende, in den Strudel der Weltgeschichte gezogene tragische Zeitzeugin, hier das doch eher burschikose Starlet, das Dirigenten düpieren kann und eine für die Öffentlichkeit im Grunde genommen unerhebliche On-Off-Beziehung mit einem nicht minder populären Sängergatten lebt.
Der Tribut hat schon fast etwas Anmassendes und wäre auch nicht nötig. Er gereicht sogar eher zum Nachteil. Das, was die Rumänin gestalterisch und sängerisch zu bieten hat, ist heute weltweit etwas vom Besten, was Sangeskunst hergibt. Die Assoziation unterstreicht bloss, dass da eine andere die entscheidenden paar Stufen mehr zum Sängerolymp der Geschichte schon mal genommen hat. (wb)
Angela Gheorghiu: Homage to Maria Callas – Favorite Opera Arias. Royal Philharmonic Orchestra, Marco Armiliato (Leitung), Arien von Puccini, Gounod, Bellini, Leoncavallo, Saint-Säens und andern. EMI Classics.