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Stutzmann singt und dirigiert Vivaldi

29.04.2011 — Pianisten und Pianistinnen tun’s immer häufiger, Geiger und Geigerinnen ebenso, nun auch eine Kontra-Altistin: Nathalie Stutzmann singt als Solistin und dirigiert das begleitende Orchester gleich selber – nämlich das Ensemble Orfeo 55, das sie 2009 zu diesem Zweck auch selber gegründet hat. Realisiert worden ist die Aufnahme im September 2010 im Arsenal Metz. Französisches steht allerdings nicht auf dem Programm, vielmehr wird dem venezianischen Prete Rosso Reverenz erwiesen.

Eingespielt haben Stutz und Orchester unter dem Titel «Prima Donna» (der damit auch gleich eine doppelte Bedeutung erhält) ein Rezital mit Arien aus Opern Vivaldis, und da solche Opern-Rezitale schon verschiedene Male auf Silberscheiben gebrannt worden sind – Magdalena Kožená, Patricia Petibon, Simone Kermes und Cecilia Bartoli sind vermutlich die bekanntesten, die’s getan haben – ist man ja nun mal gespannt.

Zum Einstieg ist man etwas irritiert: Da wird fett, schnell, ja sehr schnell, beinahe hektisch musiziert, Stutzmanns dunkle, in männlichen Höhenlagen wildernde Stimme ertrinkt fast ein wenig im Orchester. Da wird in der Folge aber auch auf eine unterhaltsame Art mit dem Klang gespielt, wie es ein italienisches Ensemble wohl kaum wagen würde (oder kaum die Lust dazu hätte).

Der erste Satz einer in die Arien eingestreuten Sinfonia (L’Olimpiade, RV 725) etwa geht schon ziemlich exhibitionistisch mit Dissonanzen um, die italienische Kollegen wohl in mediterranem Charme ertränken würden, und in der Arie «Con la face di Megera» aus der Oper Semiramide glaubt man, eine veritable «Wall of Sound» türme sich auf.

Das Theatralische, das der französischen Musik eh schon eigen ist, hier wird’s Ereignis. Vivaldi taugt eben auch zu mehr, als bloss zum Prospekt venezianischer Lichterfahrung. Möglich, dass das neu erwachte Interesse an der Barockoper, das bislang viel brachliegendes Potential enthüllt hat, einen generellen ästhetischen Trend in der Welt der klassischen Musik markiert: weg vom Elitären, Spirituell-Erbaulichen hin zu physischeren und bodenständigeren Formen des Musik-Erlebens.

Das Schöne an Vivaldi, wie an zahlreichen weiteren Barock-Komponisten ist zudem, dass immer wieder und noch (interessante!) Ersteinspielungen möglich sind. Hier findet man als «Premier Enregistrement Mondial» unter anderem eine Arie aus der Sammlung, die kürzlich im britischen Schloss Berkeley aufgefunden worden ist. Insgesamt sind 9 von 24 Nummern von «Prima Donna» Premieren in Polycarbonat – mehr als zwei Drittel. (wb)

Nathalie Stutzmann – Vivaldi. Prima Donna. Ensemble Orfeo 55, Arien aus Juditha Triumphans, Orlando furioso, Il Giustino, Il Teuzzone, Andromeda liberata, L’Atenaide, Semiramide, Tieteberga, Arsilda Regina di Ponto. Deutsche Grammophon/Universal, Best.-Nr. 476 4304.

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