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Striggios Messe für vierzig Stimmen

18.03.2011 — Da geht selbst André Rieu in die Knie – und das vor einem komplexen geistlichen Vokalwerk des 16. Jahrhunderts: Die Ersteinspielung der Messe Ecco si beato giorno des italienischen Spätrenaissance- oder Frühbarock-Komponisten Alessandro Striggio (geboren 1536 oder ein Jahr später) hat in den britischen Klassikcharts Rieus Album Forever Vienna vom Spitzenplatz verdrängt. Mitverantwortlich für die Rangierung dürfte sein, dass die erst vor kurzem neu entdeckte Messe 2007 an den Proms dem Publikum auf der Insel bereits angedient worden ist, und zwar in einer Einrichtung des Musikwissenschaftlers Davitt Moroney. Für die nun vorliegende Aufnahme hat der Dirigent Robert Hollingworth das Werk neu bearbeitet.

Wie verteilt man 40 Stimmen? Damit wird ja fast zwangsläufig eine Art «Wall of Sound» generiert, ein Effekt, den sich im späten 20. Jahrhundert auch der amerikanische Pop-Produzent Phil Spector zunutze machte, für dessen Verdoppelungen von Instrumenten und Klangmassierungen der Ausdruck geprägt wurde.

Striggio teilt die Stimmen in fünf Blöcke. Etwas mehr als die Hälfte der Einzelstimmen erzeugen eine Art Pad (Textur) aus Akkorden, die restlichen verlustieren sich in verschnörkelten Melodielinien. Hollingworth besetzt einzelne Stimmgruppen mit Instrumenten der Zeit, Barockposaunen, Zinken, Dulziane (Vorgänger der modernen Fagotte), Lirone (grosse Gamben), Violen und so weiter, und teilt die Gruppen überdies räumlich auf. Es ergibt also durchaus Sinn, der CD auch eine DVD beizugesellen, auf der die Musik im 5.1-Sourround-Sound abgespielt werden kann.

Noch differenzierter ist die räumliche Verteilung für ein Vorgängerwerk der Messe, die Motette Ecce beatam lucem, die (mit Hilfe von Einrichtungen, die sich poetisch «Wolkenmaschinen» nennen und auf den zeitgenössischen Theatertechniker Sabbatini zurückgehen) auch vertikale Raumeffekte vorsieht. Da müssen selbst moderne Mehrkanalwiedergaben in Consumer-Elektronik die Waffen strecken. Hollingworth hat eine Behelfslösung für das Problem gefunden, das den Hörer auffordert, sich auf den Boden zu legen…

Die auf dieser CD erklingenden Instrumente sind historisch, nicht aber die Motive der Entstehung einer 40-Stimmen-Messe. Mit dieser Noch-grösser-noch-verückter-noch-kunstvoller-Musik sollte vor allem Macht, Reichtum und politischer Einfluss demonstriert werden. Die Motette wurde zu Ehren päpstlicher Diplomaten in Verhandlungen des Konzils von Trient zelebriert, sie verlieh überdies einer königlichen Hochzeit in München akustischen Pomp. Die Messe erklang vermutlich auch in England.

Dort liess sich der Lokalmatador Thomas Tallis von den Werken Striggios zu seinem vierzigstimmigen Spem in Alium inspirieren, das sich ebenfalls auf der CD findet (neben weiteren Werken Striggios und Vincenzo Galileis, des Vaters Galileo Galileis).

Tallis Monsterpartitur folgt allerdings einer andern Kompositionstechnik als diejenigen Striggios: Er schreibt fugierte Partien mit kunstvoll verwobener Harmonik, die auch harte Dissonanzen nicht scheut und im direkten Vergleich auf der CD geschmeidiger und sinnlicher rüberkommen. (wb)

Alessandro Striggio:; Ecce beatam lucem, Missa Ecco si beato giorno, Fuggi spene mia, O giovenil ardire, Altr’io che queste spighe, D’ogni gratia et d’amor, O de la bella Etruria invitto duce, Caro dolce ben mio, Miser’oimé; Thomas Tallis: Spem in alium; Anonymus: Spem in alium; Vincenzo Galilei: Contrapunto Secondo di BM. Ensemble I Fagiolini, Robert Hollingworth (Leitung). Decca/Universal, Best.-Nr. 478 2734

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