27.08.2010 –Bizets «Carmen» ist eine der beliebtesten Opern überhaupt, und die Lettin Elīna Garanča hat die Stimmlage dazu. Sie ist auch jung, hübsch, selbstbewusst und selbstbestimmt. Allerdings ist sie blond und eher der Typ Nordische Kühle, aber dazu hat man in der Oper ja die Maske. Die Mezzosopranistin aus dem Baltikum ist ein Glücksfall für «Carmen». Dass sie die Erfolgswelle nutzt und neben einer DVD mit der ereignishaften «Carmen»-Produktion der New Yorker Met auch noch eine Spanischem, Iberischem, Gitanos und Zarzuelas gewidmete CD einspielt, ist da wenig überraschend. Interessanter ist schon eher, wie sie dies macht – nämlich durchaus auf intelligente und originelle Weise.
Natürlich finden sich da Ohrwürmer aus Zarzuelas, Lieder spanischer Nationalkomponisten wie Manuel de Falla, Fernando Obradors und Xavier Montsalvatge (zum Teil begleitet vom Gitarristen José Maria Gallardo del Rey) und natürlich Ausschnitte aus «Carmen» (einer davon – die Seguidilla – mit Roberto Alagna als Gastpartner), auch wenn es sich dabei genau genommen um eine französische und nicht eine spanische Oper handelt.
Den Spanienbildern ausserhalb der iberischen Halbinsel gibt Garanča auf der CD auch Raum. Da findet sich eine Nummer aus Léhars Operette «Zigeunerliebe», der mit viel gutem Willen ein Quentchen Spanien abzugewinnen ist, auch wenn da eher eine ungarische Carmen zu Csárdás-Klängen die anarchistische Liebe besingt. Zigeunerklischees bietet auch ein Song aus der Oper «The Bohemian Girl» des 1870 verstorbenen Iren Michael William Balfe; europäischer Migration und Versatzstücken vermeintlichen spanischen Lebensgefühls wiederum ist das Spottlied «I am easily assimilated» aus Leonard Bernsteins Musical «Candide» gewidmet.
Darüberhinaus bietet die CD, die im März dieses Jahres in Turin aufgenommen worden ist, ein spezielles Schmankerl: Den Abschluss machen zwei Versionen der berühmten Habanera «L’amour est un oiseau rebelle» aus «Carmen». Der bekannten stellt Garanča eine Frühversion («L’amour est enfant de bohème») gegenüber, die deutlich anders konzipiert ist.
Interessant wäre es, Garanča Anregung aufzunehmen, und in einer «Carmen»-Produktion die heutige einmal durch die ältere Fassung zu ersetzen und zu schauen, wie das Publikum reagiert. Vermutlich irritert, sind Operngänger in der Regel doch eher alt- als neugierig.
Begleitet wird Elīna Garanča vom Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI unter der Leitung von Karel Mark Chichon. Da bleiben keine Wünsche offen.
Zur «Carmen»-Inszenierung der Met gibt es eine DVD. Dass Elīna Garanča damit an der Seite Roberto Alagnas als Don José Triumphe feiern konnte, hat sie eigentlich dem Umstand zu verdanken, dass die ursprünglich vorgesehene Angela Gheorghiu einen Rückzieher machte, weil sie nicht an der Seite ihres Mannes auftreten wollte (dass Alagna in einem Interview mit Renée Fleming auf der DVD Garanča als «kompletteste Carmen» bezeichnet, die er kenne, kann man da durchaus auch als Seitenhieb verstehen). Die Ehe ist – zum Opernstoff durchaus passend – zerrüttet. Spektakulär war auch der Einspringer des neuseeländischen Baritons Teddy Tahu Rhodes bloss Stunden vor den Aufnahmen für den indisponierten Mariusz Kwiecien als Escamillo.
Yannick Nézet-Seguin dirigert das Met-Orchester mit Schwung, Präzision und Wissen um dramatische Wirkung. Teilweise scheinen die Tempi etwas gar gemächlich. Die naturalistischer Filmästhetik verpflichtete Inszenierung Richard Eyres ist packend, unterhaltend und in der psychologischen Zeichnung der Figuren stimmig. Das Schussbild ist ein echter Coup.
Vermissen könnte man möglicherweise die obszönen, anarchistischen, dreckigen und in der Gewaltdarstellung realistischen Elemente, die der Oper auch eigen sein könnten. Das wäre dann aber eine Fassung, die von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) erst ab 16 oder 18 und nicht ab 6 Jahren freigegeben werden könnte. (wb)
Elīna Garanča: Habanera. Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI, Karel Mark Chichon (Leitung), José Maria Gallardo del Rey (Gitarre). Werke von Barbieri, Bizet, Léhar, Balfe, Montsalvatge de Falla, Ravel, Chapí, Bernstein, Gallardo del Rey, Luna, Obradors und Serrano. Deutsche Grammophon/Universal Best.Nr. 477 8776.
Bizet: Carmen. Mit Elīna Garanča, Roberto Alagna, Barbara Frittoli, Teddy Tahu Rhodes, Keith Miller, Metropolitan Opera Orcehstra, Chorus and Ballet, Yannick Nézet-Séguin (musikalische Leitung), Inszenierung: Richard Eyre. 2 DVD, Deutsche Grammophon/Universal Best.-Nr. 073 4581.