20.03.2009 — Häufig fällt ihr Name, wenn auch die Sopranistin Anna Netrebko präsent ist. Das kommt nicht von ungefähr. Für die Deutsche Grammophon hat die lettische Sängerin Elina Garanča bereits mehrere CD mit der russischen Kollegin aufgenommen − 2003 und 2007 Opern-Arien, 2006 ein Mozart-Album und jüngst vor allem auch eine Gesamteinspielung von Bellinis «I Capuleti e i Montecchi», auf der sie den Part des Romeo und Anna Netrebko denjenigen der Julia singt.
Im Grunde genommen steht Elina Garanča als Mezzosopranistin aber vor allem in einem interessanten, spannungsreichen und komplementären Verhältnis zu Cecilia Bartoli. Deutlich wird dies mit dem jüngsten Soloalbum der Lettin, das dem Belcanto der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewidmet ist und wie eine wichtige Ergänzung zu demjenigen anmutet, das Cecilia Bartoli 2007 dem damaligen Superstar Maria Malibran (1808 bis 1836) gewidmet hat (siehe Codex-flores-Rezension).
Die eigensinnige und künstlerisch kantige Bartoli schärft das Ohr für die historischen Eigenheiten des virtuosen Operngesanges, auch mit der Aufarbeitung des authentischen Repertoires der reisenden Virtuosin Malibran, und einer streckenweise mehr der Wahrhaftigkeit des Ausdruck als ästhetischen Gefälligkeiten verpflichteten Interpretationskunst. Gerade den andern Weg beschreitet ihre baltische Kollegin. Unterstützt von der Filarmonica del Teatro Communale di Bologna unter der Leitung von Roberto Abbado (dem Neffen Claudio Abbados) perfektioniert Elina Garanča den geschmeidigen, Kanten eher glättenden, dafür umso betörenderen Schönklang.
Tatsächlich gibt’s zwischen den beiden Alben keinerlei Repertoire-Überschneidungen, auch wenn beide Arien von Bellini und Donizetti im Gepäck mitführen. Bartoli präsentiert einiges aus dem zeitgenössischen Repertoire Malibrans, das heute kaum noch bekannt ist, Garanča dagegen mehrere Hosenrollen (Tancredi aus Rossinis gleichnamiger Oper, Orsini aus Donzettis «Lucrezia Borgia», Calbo aus Rossinis «Maometto II», Aurelio aus Donizettis «L’assedio di Calais» und den Romeo aus «I Capuleti e i Montecchi», allerdings nicht aus der Einspielung mit Anna Netrebko).
Zwar philosophiert die Sängern in einem Interview im Booklet darüber, dass «jede Frau eine maskuline Seite und jeder Mann eine feminine Seite» habe. Die Interpretation von Hosenrollen, also von männlichen Partien, versteht Elina Garanča sängerisch aber keineswegs als individualisierte, geschlechtsbetonte Charakterdarstellung, wie sie in der Romantik immer mehr üblich geworden ist; vielmehr gestaltet sie diese noch ganz aus dem Geist der Klassik, der in der Epoche des Belcanto durchaus noch präsent war: als stilisierte, der zeitlosen Schönheit verpflichtete Archetypen. (wb)
Elina Garanča: Bel Canto, Filarmonica del Teatro Communale di Bologna, Roberto Abbado (Leitung), Ildebrando d’Arcangelo (Bass), Adrian Sāmpetrean (Bassbariton), Ekaterina Siurina (Sopran), Matthew Polenzani (Tenor), Coro del Teatro Communale di Bologna; Arien von Donizetti, Bellini und Rossini, aufgenommen im November 2008 im Auditorium Teatro Manzoni Bologna. Deutsche Grammophon 477 7460.