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Hélène Grimaud: Bach und seine Bearbeiter

17.10.2008 — «Synthese von höchster Kunst und tiefster Frömmigkeit», «Anfang und Ende der Musik», «Das Alte Testament der Musik» − Bachs Klangwelten haben immer wieder das Bedürfnis geweckt, grundsätzliche Gegensätze zu beschwören (das erste Zitat stammt aus einer Sendung des Hessischen Rundfunks, das zweite von Max Reger und das letzte − es bezieht sich auf das Wohltemperierte Klavier − vom Dirigenten Hans von Bülow. Hübsch ist ja auch das oft kolportierte Bonmot Beethovens, nach dem Bach nicht «Bach», sondern «Meer» hätte heissen sollen).

Mit ihrem Bach-Album beschwört auch die Pianistin Hélène Grimaud einen Gegensatz. Sie sinniert den Spannungen zwischen freier und strenger Komposition nach und kontrastiert dazu Präludien und Fugen aus den beiden Bänden des Wohltemperierten Klaviers mit spätromantischen Bearbeitungen von Werken des Thomaskantors: Busonis Klavierversion der Chaconne aus der Geigenpartita BWV 1004, Liszts pianistische Umsetzung von Präludium und Fuge in a-Moll, BWV 543 für Orgel, und Rachmaninows Bearbeitung des Präludiums aus der Geigenpartita in E-Dur, BWV 1006. Ergänzt wird das Programm vom d-Moll-Konzert für Klavier und Orchester BWV 1052. Es zeigt Bach selber als Bearbeiter eigenen Materials, liegt ihm doch ursprünglich ein nicht mehr erhaltenes Violinkonzert zugrunde, das zuerst für Orgel und dann für Klavier auf Papier gebracht worden ist. Als eher diskret im Hintergrund agierendes Orchester kommt dabei die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Florian Donderer zum Zug.

Die Erklärungen, die Grimaud im Booklet in einer Einleitung und in Interviewform selber zum Projekt gibt, sind eher kryptisch (und dies nicht nur in der deutschen Übersetzung, sondern auch in den französischen Originalen). Das Konzert BWV 1052 habe sie, so die Pianistin, in die Auswahl aufgenommen, weil es «ein wichtiger Aspekt von Bach» sei. Das lässt sich ja nun von fast allem sagen, was Bach je in Töne gegossen hat. Die Diskussion um Originalinstrumente, welche die Auseinandersetzung um Originale und Bearbeitungen von Bach-Werken in den letzten Jahren entscheidend befruchtet hat, wischt sie hingegen mit der Bemerkung vom Tisch, dies sei «einfach kein Thema». Bach lasse sich auf jedem Instrument wundervoll spielen, wenn «die Seele entsprechend eingestimmt ist». Schliesslich erklärt Grimaud, Bach sei ein Prophet für alle Zeit und alle Menschen, da sei es nur natürlich, ihn auch als Ausgangspunkt für Liszt, Busoni oder Rachmaninow zu entdecken.

So diffus wie die verbalen Begründungen wirkt das Konzept der CD beim Abhören. Da folgen alternierend und tonartenmässig assortiert Paare aus den Bänden des Wohltemperierten Klaviers, das Konzert und die Bearbeitungen aufeinander. Man wird dabei unwillkürlich an Mussorgskys «Bilder einer Ausstellung» erinnert, nur dass statt der Promenade die strengen Präludien und Fugen Bachs zwischen den wuchtigen spätromantischen Übermalungen seiner Werke Raum zum Durchatmen und zur Reflektion geben.

Im Grunde genommen bewirkt Hélène Grimaud mit dem Unterfangen das Gegenteil dessen, was sie vermutlich beabsichtigt: Statt die Universalität der Musik Bachs herauszuarbeiten, unterstreicht sie mit dem Album die ausgesprochene Zeitbedingtheit der romantischen Bearbeitungen. Diese allerdings werden unter ihren Händen (und dem nicht unbedingt knausrig aufs Pedal tretenden Fuss) zum echten Erlebnis. Wirken die Originalpräludien Bachs streckenweise fast etwas fiebrig und atemlos, erschafft sie aus den orchestralen Farben der Busoni- und Rachmaninow-Versionen der Partitenstücke auf kongeniale Weise ein spannungsreiches Panoptikum. (wb)

Hélène Grimaud: Bach. Werke von Bach und Bearbeitungen von Busoni, Liszt und Rachmaninow. Deutsche Kammerphilharmonie Bremen ( Florian Donderer, Leitung). Deutsche Grammophon 477 7978, Hamburg 2008.

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