19.09.2008 — In Brasilien hat sich eine gitarristische Tradition entwickelt, die vom elegant-verführerischen Duktus der europäischen Kaffeehausmusik in immer exzessivere Ausdrucksbereiche geführt und das technische und musikalische Repertoire des Instrumentes in bislang kaum gekannte Regionen erweitert hat. Kultivierten die Vorväter wie Heitor Villa-Lobos oder Dilermando Reis noch die melancholisch-zärtliche Causerie, geriet die Gitarrenmusik des Landes − nicht zuletzt unter dem Einfluss der wilden Stile des Nordostens − immer mehr in den Sog einer stupenden, überbordenden Fülle an musikantischen Einfällen und zu fingerbrechender Klangmagie.
Für die Entwicklung stehen Hypervirtuosen wie Sebastião Tapajós, der Multiinstrumentalist Egberto Gismonti und der leider viel zu früh verstorbene Raphael Rabello. Gerne spielten und spielen diese statt der üblichen sechsaitigen eine typisch brasilianische Gitarre mit sieben Saiten (sie weist eine zusätzliche tiefe C-Saite auf − genau wie Kontrabässe, die ebenfalls gerne mit einer zusätzlichen C-Saite versehen werden und damit den Tonumfang nach unten um eine grosse Terz erweitern).
Der 1980 in Passo Fundo im südlichen Bundesstaat Rio Grande do Sul geborene Yamandú Costa kann auf der siebensaitigen Gitarre als legitimer künstlerischer Erbe Raphael Rabellos betrachtet werden, auch wenn er nie dessen eigentlicher Schüler war. Sein Handwerk lernte er zunächst von seinem Vater Algacir Costa, einem Trompeter und Bandleader, und von einem argentinisch-brasilianischen Virtuosen namens Lúcio Yanel, der im Grunde genommen erst durch seinen Schüler selber zu grösserer Bekanntheit gelangt ist.
National auf sich aufmerksam machte Yamandú mit 17 Jahren mit einem Rezital im Circuito Cultural Banco do Brasil der Wirtschaftsmetropole São Paulo; 2001 schaffte er den Durchbruch vollends mit dem Gewinn des Prêmio Visa de Música Brasileira, einer neueren, aber wichtigen Auszeichnung für den Nachwuchs der populären Musik des Landes. International bekannt geworden ist er vor allem durch einige bemerkenswerte Auftritte in Mika Kaurismäkis Dokumentarfilm «Brasileirinho» über die Geschichte des brasilianischen Choro.
Im September vergangenen Jahres ist Yamandú auf Einladung des rührigen deutschen Gitarristen Peter Finger (nomen est omen) am Osnabrückner Open-Strings-Festival aufgetreten. Bei dieser Gelegenheit hat er für Fingers Label Acoustic Music Records mit «Mafuá» erstmals eine Solo-CD eingespielt, die fast ausschliesslich eigene Werke umfasst und ihn auch als versierten Komponisten zeigt.
Die deutsch-brasilianische Zusammenarbeit hat übrigens Tradition, möglicherweise weil die sinnlich-subtilen brasilianischen Gitarrenpoeten als perfekter kultureller Gegenpol zur eher hölzernen und unverblümten deutschen Lebensart hiesige Sehnsüchte perfekt bedienen. Die Deutschen wiederum schätzen etwas, was beim brasilianschen Volk auf sehr wenig Interesse stösst: die reine Instrumentalmusik.
Bereits der auch von Yamandú geschätzte Baden-Powell fand deshalb vor allem in Deutschland eine Plattform, und zwar durch die Vermittlung des emphatischen Jazzkritikers Joachim-Ernst Berendt, der mit ihm in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts unter anderem die Schallplatte «Tristeza on Guitar» einspielte und ihn an die Berliner Jazztage einlud.
Wer die Musik von brasilianischen Instrumentalisten wie Hermeto Pascoal, Raphael Rabello oder Egberto Gismonti mag, der wird sich zweifelsohne auch mit Yamandús Kreationen anfreunden. Gitarristen, die auf eine Erweiterung des ohnehin schon reichen Repertoires an Sololiteratur zum Nachspielen hoffen, seien allerdings gewarnt: Da hängen die Trauben doch schon sehr hoch… (wb)
Yamandú Costa: Mafuá. Acoustic Music Records 319.1396.2, Bezugsnachweis: www.acoustic-music.de