13.06.2008 — Vor nicht allzulanger (aber doch schon einiger) Zeit ist es dem einen oder andern Verleger in den Sinn gekommen, seinem Medium mehr «Servicequalität» und «Orientierung an den Bedürfnissen der Leser» zu verordnen. Statt einer engagierten und emotionalen Kunstdebatte (zu elitär! zu schulmeisterlich!) seien Leserführung gefragt, und einfache und zugängliche Empfehlungen. Differenzierte Urteile sind also durch Sternchen ersetzt worden: Beethovens Neunte mit Karajan: Repertoirewert: **, Spassfaktor: ****. Kennedy spielt Vivaldi: Glamourfaktor: *****, Interpretation ** (zu depressiv), Harnoncort dirigiert Strauss: Originalität *****, Authentizität: ***** und so weiter. Der Text dazu ist nach und nach auf 15 Zeilen zusammengestrichen worden (schreibt doch was Pfiffiges!), in denen kaum mehr als Gemeinplätze, Leerformeln und scheinbar Originelles wie Shootingstar, schmelzender Klang, Wirbelwind der Klassikszene, Tastenlöwe, akustischer Querdenker Platz finden können − und auch nicht sollen, wenn sich der eine oder andere Redaktor nicht den subersiven Witz gönnt, die Kleinform mit unterschwellig ironischen Sätzchen zur Selbstdispensation zu bringen.
Neben «Leserservice» ist «Personalisierung» ein weiteres Zauberwort der modernen Medien. Aufwendig erarbeitete Beschreibungen und Bewertungen abstrakter Strukturen, die alle Musik ja nun mal ist? Versteht kein Mensch, liest kein Mensch! An ihre Stelle tritt ein Interview mit dem Interpreten (oder noch besser mit der Interpretin, weil die neben Glamour auch noch die dritte magische Formel der Medienwelt bedient: «Sex sells»). Braucht doch auch weniger Zeit und ermöglicht schöne Fotostrassen (der vierte Faktor im Erfolgssystem modernen Zeitungsmarketings). Und bitte keine elitäre Konversation über Musik. Lieber Fragen nach dem Haustier, damit holt man Leserinnen ab.
Entsprechend öde und einförmig sehen die Klassikseiten einschlägiger Publikumsmedien heute aus: Ein Interview (eine Viertelseite), die Foto der angesagten, attraktiven Sopranistin als «Eyecatcher» (drei Viertelseiten). Auf der gegenüberliegenden Seite fünf Kurzhinweise auf Neuerscheinungen mit Sternchen oder «Daumen rauf, Daumen runter»-Bewertung, darunter Inserate von Parfüms und Limousinen der A-Klasse, oder dem unvergesslichen Erlebnis am gerade angesagten Freiluftspektakel (gesponsert von einer Sektmarke).
Da ist es ein logischer Schritt, wenn ein Plattenmulti sich fragt, weshalb man diese Art der Berichterstattung den Zeitungsmachern überlassen sollte. Das kann man doch geradesogut selber! Diesen Weg geht Universal mit seinem Magazin Klassikakzente. Klassikakzente hat eine Redaktion und verfasst Rezensionen und wirkt in der Aufmachung so wie einschlägige unabhängige Musikmagazine. Es reiht sich damit ein in einen medialen Megatrend, in dem Produktanbieter ihre Pressearbeit gleich selber übernehmen (wie das in der Schweiz etwa die Grossverteiler Migros und Coop machen; deren Hauszeitungen sind mitterweile die grössten Wochenblätter des Landes, und sie haben erhebliche publizistische Macht).
Universal geht mit der Reihe Classical Choice nun aber noch einen Schritt weiter: Die CD einer Reihe, die das Standardrepertorie der europäischen Klassik abdeckt (und mit der die x-te Zweitverwertung des Backup-Katalogs durchexerziert wird), sind mit einer «Bewertung der Klassikakzente Redaktion» versehen. die ein wenig an die Klassifikationssysteme von Weinen erinnern (fruchtig, herb, süsslich, ideal zu rotem Fleisch). Beethovens Klavierkonzerte Nr. 4 und 5 sind: dynamisch (****), eingängig (****) und melodisch (****).
Und die Aufnahmen? Diejenigen der Klavierkonzerte sind in den achtziger Jahren eingespielt worden. daneben gibt’s in der Classical Choice Reihe unter anderem Wohlfühl-CD («Klassik zum Entspannen», «Klassik zur Ruhe», «Klassik zum Frühstück» [!] und so weiter), verschiedene populäre Sinfonien und Orffs Carmina Burana.
Insgesamt präsentiert Klassikakzente im Ausverkauf rund zwei Dutzend Reihen. Sie reichen von Musik für Kinder über Aufnahmen grosser Meister bis zum Repertoire des 20. und 21 Jahrhunderts. (wb)
Beethoven: Klavierkonzerte 4 & 5, Claudio Arrau (Klavier), Staatskapelle Dresden, Sir Colin Davis (Leitung), ursprünglich publiziert 1986, Decca 4780244, aus der Reihe www.classical-choice.de