22.02.2008 — Bis 2003 sind praktisch im Jahrestakt neue Aufnahmen der japanischen Geigerin Midori Gotō − kurz Midori − erschienen, die letzte eine Live-Einspielung der populären Violinkonzerte von Bruch und Mendelssohn, mit den Berliner Philharmonikern als Begleitensemble und Mariss Jansons als Dirigent. Dann ist der Strom versiegt, was sicher damit zu tun hat, dass sich die einst als Wunderkind gefeierte Musikerin mehr und mehr zahlreichen Projekten in der Musikvermittlung und der Nachwuchsförderung widmet − und mit einem Studium der Psychologie beschäftigt war, das sie 2005 an der New York University mit einem Master abgeschlossen hat. Nun macht Sony Classical eine CD verfügbar, auf der Bachs a-Moll-Solosonate BWV 1003 und Bartóks erste Violinsonate Sz. 75, BB 84 aufeinandertreffen (in der Bartók-Aufnahme ist Robert McDonald als Begleiter zu hören).
Brandneu sind allerdings auch diese Aufnahmen nicht. Die Bach-Sonate hat Midori im August 2005, also vor zweieinhalb Jahren laut eigenen Aussagen in ihrem Webtagebuch mit Blick auf das vorliegende Album eingespielt. Die Bartók-Aufnahme ist jedoch bereits im September 1999 entstanden, also kaum explizit als Kontrast zur Bach-Einspielung. Der Release wirkt denn auch etwas wie eine Gelegenheits-Produktion, mit zwei aufnahmetechnisch ganz verschiedenen Teilen, der eine − das Solostück − fast ein wenig verhallt und fragil in der Interpretation, der Bartók dafür stilsicher, aber vom Klangbild her eher trocken analytisch.
Der Auftakt irritiert fast ein wenig: Das Grave der Solosonate wirkt zerdehnt und arienhaft. Auch die Fuge scheint eher ziseliert, denn wirklich körperhaft und organisch atmend. Solche Irritationen lässt man sich von einer so tiefgründigen und subtil gestaltenden Musikerin allerdings gefallen, nicht zuletzt weil die feine Klangarbeit die das barocke Werk bis in ungewohnte, flautando-artige Regionen trägt, im Andante auch zu überraschenden und sehr eindringlichen Momenten der vibrierenden Innenspannung führt.
Die kühl-vibrierende, etwas distanzierte Expressivität der Bartok-Sonate scheint Midori mehr zu entsprechen als der pietistische Bach. Da geht die Japanerin völlig auf und Brüche werden kaum wahrnehmbar. So bleibt die Kontrastierung der beiden Werke alles in allem eben das: ein Kontrast, in dem − abgesehen von der auch in der Bach-Sonate sehr modern anmutenden Klangestaltung − wenig Querverbindungen spürbar werden. (wb)
Midori: Bach: Unaccompanied Sonata No. 2, Bartók Sonata Nr. 1 (Robert McDonald, Piano), Sony Classical, 82796977452, Sony MBG 2007.