12.01.2008 — Als wär’s der Heilige Gral des Taktstockes: Der Zyklus aller Beethoven-Sinfonien übt auf Dirigenten aller Couleurs, Gustos und Generationen magische Anziehungskraft aus. Schon Toscanini, Furtwängler, Leibowitz und Klemperer haben ihn eingespielt. Herbert von Karajan war so besessen davon, dass er ihn gleich viermal (!) auf Tonträger verewigte − und dabei keineswegs immer überzeugender wurde. Auch Claudio Abbado hat sich die Aufgabe zweimal vorgenommen. Die Liste weiterer Maestros mit einer Gesamtdeutung ist lang und umfasst Berufene und weniger berufene, Bedeutende und weniger bedeutende: Krips, Iwaki, Kuhn, von Dohnányi, Haitink, Masur, Brüggen, Goodman Norrington, Gardiner, Bernstein, Harnoncourt, Szell, Davis, Sawallisch, Kofman…
Auch für die deutschen Rundfunkorchester gehört das Glaubensbekenntnis aller späterer Sinfonik zum festen Repertoire. So hat sich Stanislaw Skrowaczewski mit dem Rundfunk Sinfonieorchester Saarbrücken des Themas angenommen, und auf dem eigenen Label macht nun auch das Frankfurter hr-Sinfonieorchester unter der Leitung Hugh Wolffs seine Variante zugänglich.
Zwei grosse Themen beherrschen die moderne Rezeption der Beethoven-Sinfonien. Zum einen kommt keiner, der sie heute einspielt, darum herum, sich mit der überaus kontroversen Frage der Tempi zu befassen. Zum andern steht das Klangbild zur Diskussion: historisches oder modernes Instrumentarium ist die eine Entscheidung, die räumliche Aufstellung des Orchesters die andere.
Beethoven hat seine Sinfonien mit detaillierten Metronomangaben versehen, die ein teilweise aberwitziges Tempo nahelegen. Eine Lanze für ein solches brechen etwa Harnoncourt und Norrington. Wolff geht das Problem differenziert an. So ist er der Überzeugung, dass sich zahlreiche Metronomangaben nicht mit den in Worten beigefügten italienischen Tempoumschreibungen vereinbaren lassen − etwa wenn in der dritten Sinfonie, der «Eroica», ein Adagio assai laut Metronom mit 84 Vierteln pro Minute durcheilt werden sollte. Und in den Endsätzen der fünften und siebten Sinfonie scheinen ihm die Metronomangaben gar ein allzu gemächliches Tempo zu suggerieren.
Auch in Sachen Klang macht das Orchester Kompromisse. Es verwendet Naturhörner und Naturtrompeten, aber moderne Streicher, diese allerdings nicht in opulenter Zahl. Die ersten und zweiten Violinen sitzen sich gegenüber und produzieren so überraschende Stereoeffekte. Im Grossen und Ganzen wirkt das Klangbild des Orchesters dadurch gut durchhörbar und differenziert und lässt vor allem den Holzbläsern Raum zur Entfaltung, ohne die Gleichgewichte zwischen den Registern zu gefährden.
Ein Rundfunkorchester ist naturgemäss ein gut eingespieltes Ensemble, und so kann man sich auch bei der Wolffschen Gesamtaufnahme an präzisem Zusammenspiel und subtiler Klangkultur erfreuen. Sie präsentiert nicht in erster Linie den heroischen Beethoven, sondern eher Seiten des Bonner Meisters, die ihm immer wieder mal abgesprochen worden sind: die Erfindung augeklügelter Melodien und eine raffinierte Instrumentation. (wb)
hr-Sinfonieorchester, Hugh Woff (Leitung): Ludwig van Beethoven. Die Sinfonien. hr2 Kultur, hr-musik.de /klassik, hrmk 039-07, www.hr-online.de