19.10.2007 — Die 1981 in Argentinien geborene und heute in Basel lehrende Cellistin Sol Gabetta hat 2004 mit dem Gewinn eines Credit Suisse Young Artist Award des Lucerne Festivals Aufmerksamkeit erregt. Mit ihrer ersten CD – sie spielte darauf, begleitet vom Münchner Rundfunkorchester unter Ari Rasilainen, Werke von Tschaikowsky und Ginastera – hat sie den Echo Klassik 2007 für die beste Interpretation eines Konzerts des 19. Jahrhunderts erhalten und so ihren Platz in der internationalen Top-Liga der Klassik gefestigt. Ein weiterer Meilenstein dürfte in der laufenden Saison ein Auftritt mit Yo-Yo Ma sein. Die beiden werden mit dem Washington Symphony Orchestra unter Leitung des Komponisten Leonard Slatkins «Dialogue for two cellos» uraufführen. Zunächst legt die rührige Musikerin aber ein Vivaldi-Album vor – mit fünf Cellokonzerten (RV 401, 410, 413, 418 und 424), einem für Cello bearbeiteten Violinkonzert (RV 356) und einer ebensolchen Bearbeitung des «Winters» aus den «Vier Jahreszeiten» des venezianischen Meisters.
Die smarte Jungcellistin ist bislang nicht als Vertreterin der historischen Musizierpraxis hervorgetreten, dank ihrer Lehrtätigkeit in Basel sitzt sie allerdings sozusagen an der Quelle, ist die Stadt doch eine Hochburg der kundigen Auseinandersetzung mit Alter Musik. Ob und wie weit sie sich mit ihren Kollegen von der Barockzunft tatsächlich ausgetauscht hat, geht aus den Informationen zur CD nicht hervor. Für das Album hat sie ihr Guadagnini-Cello von 1759 aber auf alle Fälle mit Darmsaiten bespannt und sich überdies mit einem Barockbogen bewaffnet.
Begleitet wird sie bei ihrem «Vivaldi-Projekt» vom italienischen Ensemble Sonatori de la Gioiosa Marca, dessen Cellist Walter Vestidello auch die Bearbeitungen der beiden Violinkonzerte besorgt hat. Die Aufnahmen zur CD sind im Mai dieses Jahres in der Kirche San Vigilio von Col San Martino im italienischen Treviso realisiert worden.
Die Sonatori sind eine kammermusikalisch mit Streichquartett, Gambe, Laute und Cembalo besetzte Formation, woraus bei der Begleitung eines solierenden Cellos ein eher unausgewogenes oder zumindest fragiles Klangbild mit einem Überhang im Tenor, respektive Bass resultiert. Die höheren Register werden überdies durch die teils gemeinsam angeschlagenen Continuo-Instrumente Laute und Cembalo verwischt. Zu einem wenig plastischen Gesamtklang, der teils haarscharf an Flatterechos vorbeischrammt, teils recht aufdringliche Atem- und Spielgeräusche mitschleppt und weder ein plastisch durchhörbares noch ein satt-energetisches Ensemble ergibt, trägt möglicherweise auch die Aufnahmetechnik bei.
Auf eine Art erinnert die CD an Aufnahmen aus der Pionierzeit der Historischen Aufführungspraxis, in der in Abgrenzung zur damals vorherrschenden kammermusikalischen Musizierweise ein obertonreicher, antiromantischer Ton gepflegt wurde. Das bedeutet aber (glücklicherweise) auch, dass der zur Zeit grassierenden Mode zu möglichst aggressiver Attacke und extremer Dynamik in der Interpretation Alter Musik nicht Folge geleistet wird. Die Spielweise der Solistin wirkt eher kühl und distanziert – vor allem in den langsamen Mittelsätzen, in denen sie sich gestalterisch zurücknimmt.
Das schweizerisch-italienische Zusammenspiel hat allerdings auch einen eigenen Reiz, wie das nur allzu bekannte und in Sachen kompositorischer Kühnheit über die restlichen Werke weit hinausragende Konzert aus den «Jahreszeiten» beweist: Den Ohrwurm machen Solistin und Ensemble zu einem spannenden und frisch wirkenden Hörerlebnis voller ungeahnter neuer und überraschender Schattierungen. (wb)
Sol Gabetta: Il progetto Vivaldi, Sonatori de la gioiosa marca, Konzerte RV 297, 356, 401, 410, 413, 418 und 424, RCA Red Seal 88697131692 (Sony BMG 2007).