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Kuschel Klassik – Betablocker für die Ohren

05.10.2007 — Die Doppel-CD ist für eine kritische Rezension eine echte Herausforderung. Es handelt sich um eine Aneinanderreihung harmloser Melodien in Mezzopiano und getragenem Zeitmass, vieles davon Ohrwürmer des klassisch-romantischen Repertoires, und nicht wenige zum Weichspülen in mehr oder weniger seriöse Bearbeitungen eingelegt – etwa in Gelegenheitsarrangements der ausübenden, durchwegs hochkarätigen Instrumentalisten, es findet sich aber auch eine Orchesterversion Ottorino Respighis von Rossinis «Zauberladen» und ähnlich Ausgeklügeltes.

Das Resultat der Kompilation ist eine Art «Tapetenmusik» mit einlullendem Charakter, die sich für eine kritische Würdigung denn auch insofern als schwierig erwiesen hat, als der Rezensent beim Anhören mehrere Male sanft eingeschlummert ist und das Programm erst in mehrmaligen Anläufen vollständig bewältigt hat. Dabei hat das Eingangsstück – eine musikalisch ziemlich misslungene, sanft säuselröhrende Saxophonquartett-Version von Bachs «Jesu bleibet meine Freud» – wirklich Schlimmes befürchten lassen. Die schwerstwiegende Verstümmelung hat der Hörer damit allerdings bereits hinter sich, der Rest der Nummern ist, wenn auch nicht gerade spektakulär, so doch auf anständigem Niveau, wenn auch mit geglätteten Ecken und Kanten häppchenweise serviert.

Dass in der Reihe mittlerweile die zwölfte Scherbe aufliegt, hat auch seine Vorteile, denn die grossen Renner – Schumanns «Träumerei» und alle sonstigen möglichen Liebesträume, Romanzen, Wiegenlieder, Barcarollen, Nocturnes, Largos und Adagios – sind seit dem Vol.1 nämlich bereits abgenudelt. Das Repertoire erhält mit der Nr. 12 deshalb schon fast originellen Charakter. Da kommen nun etwa ein Klaviertrio Edouard Lalos (selbstverständlich nur der langsame Satz), eine Suite für zwei Klaviere von Charles Koechlin (selbstverständlich nur der langsame Satz) oder ein Harfenduo von César Franck (selbstverständlich nur … und so weiter) zum Zuge, und auch Rheinberger, Glasunow, Fanny Mendelssohn und – nein nicht Bernhard und auch nicht Simgund, obwohl die auch keiner kennt, sondern – Andreas Jakob Romberg und Fernando Sor tragen ihre Scherflein zur biedermeierlichen Idylle bei.

Man fragt sich natürlich, wer solche Kuschel-Klassik konsumiert. Die appellative Grossaufnahme einer offenen Orchideenblüte auf der Rückseite des Beiblattes lässt keinen Zweifel daran, dass hier weibliche Sexualität in radikalromantischer Form munitioniert wird. Sie dürfte aber auch von Operationsschwestern eingeworfen werden, bevor einem vermummte Kerle mit Klammern, Lumpen und blutigen Skalpellen bewehrt den Bauch aufschlitzen. Um selbiges wiederum zu verhindern, dürfte sie in U-Bahn-Stationen zum Einsatz kommen, die neuerdings mit zahnlosem Mozart & Co. berieselt werden. Herumlungernde Jugendbanden lassen sich mit dieser «uncoolen» Art der Beschallung recht gut vertreiben.

Und es stellt sich natürlich auch die Gretchenfrage, ob mit dieser Art von Wohlfühl- und Entspannungsmusik Kreise für die klassische Musik gewonnen werden können, denen der Zugang dazu sonst versperrt bleibt. Da scheint Skepsis angebracht, denn das eigentliche Hindernis für Neuhörer ist, wie man aus neueren Erhebungen weiss, nicht die Musik an und für sich, sondern die mangelnde Vertrautheit mit den Ritualen des klassischen Konzertbetriebs und damit – bei ohnehin niedriger Motivationsschwelle – die Angst vor dem Fremden.

So mag das mittlerweile volle Dutzend Kuschel-Klassik den einen oder andern (oder vermutlich vielmehr die eine oder andere) zu gelegentlichen Ausflügen ins Netrebko- oder André-Rieu-Konzert im lokalen Fussball-Stadion verführen. Davon, Freunden mit Kuschel-CDs bewaffnet Musik als Schärfung von Intellekt und Wahrnehmung andienen zu wollen, wird hingegen eher abgeraten, der Hoffnungslosigkeit eines solchen Unterfangens wegen. Womit nicht gesagt sein soll, dass ein ruhiger Abend an einem ruhigen Plätzchen mit derartiger Hintergrundmusik nicht auch seine Reize haben kann. (wb)

Kuschel Klassik 12, versch. Interpreten und Komponisten, Sony BMG 88697 01381 2.

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