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Geschichte der Berliner Philharmoniker

21.04.2007 — Es gibt Bücher, die man mit Vorteil in einem Zug durchliest, um das in den Blick zu bekommen, was die Engländer mit «The Big Picture» umschreiben. Ein solches ist die «Biografie» der Berliner Philharmoniker, die der Kulturpublizist Herbert Haffner vorlegt. Mit der vor vier Jahren erschienen Furtwängler-Biografie hat er bereits beweisen, dass er einer der besten Kenner der Historie des Orchesters ist.

Die Tendenz, die Geschicke des Ensemble vor allem mit dem Fokus auf die Geschichte ihrer Dirigenten zu erzählen, wird aber auch in Haffners neuester Publikation offenkundig – sogar die Kapitel strukturieren die Episoden anhand der Temperamente der Taktstockvirtuosen und nicht der Befindlichkeit des Orchesters selber: Material- und anekdotenreich erzählt sich der Autor durch die Äras von Bilse dem «Sparsamen», Bülow dem «Missionar», dem «Magier» Nikisch, dem «Musikgott» Furtwängler, dem «Medienimperator» Karajan, dem «Pultdemokraten» Abbado bis hin zur «Zukunft@BPhil» unter dem smarten Rattle.

Vieles in den Geschicken des Ensembles ist zugleich höchstvergnüglich und verstörend. Man erfährt im süffigen Stil des Chronisten etwa Details über das legendäre Konzert von 1929 der Wiener Dirigentin Lise Maria Mayer, zu dem deren Mann – um den Saal zu füllen – mit einer anonymen Anzeige dutzende von heiratswilligen Männern eingeladen hatte und damit einen Ohnmachtsanfall der bedauernswerten Komponistin provozierte.

Penibel und differenziert werden aber auch die dunklen Kapitel der Naziherrschaft und das zwiespältige Verhalten Furtwänglers ausgeleuchtet, und Geschichten wie der tragische Tod des ersten Nachkriegsdirigenten Leo Borchard wirken auf eine bizarre Art aktuell. Sein Sterben aufgrund eines Missverständnisses britischer Soldaten während einer Ausgangssperre erinnert fatal an Ereignisse, wie sie uns heute aus dem Irak übermittelt werden. Aber auch der Machtkampf Karajans mit dem Männerklub rund um die Anstellung der Klarinettistin Sabine Meyer findet ihren gebührenden Platz.

Trotz des Fokus‘ auf die Leiter und ihre Eigenheiten, der das Buch durchaus auch zu einer Geschichte der deutschen Dirigierkunst macht, ist die «Biografie» ebenso ein Stück Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des deutschen Musiklebens, das Fragen der Selbstverwaltung und des von der legendären «Concertdirektion Wolff» nachhaltig geprägten Orchestermarketings, aber auch den Aufstieg und Fall der Tonträgerindustrie beleuchtet. (wb)

Die Berliner Philharmoniker – Eine Biografie, von Herbert Haffner, Schott Verlag, Mainz 2007, ISBN 978-3-7957-0590-9.

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