Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

Das Jahr der smarten Tenöre

31.12.2006 — Die drei Tenöre, die fünf Tenöre, die zehn Tenöre, die 101 – nein nicht Dalmatiner, sondern Tenöre –, die jungen Tenöre, die irischen Tenöre, die faulen Tenöre (auch die gibt’s!), Andrea Bocelli und Freunde, il Divo – die klassischen Boygroups boomen … zur Freude der Plattenfirmen, denn die Goldkehlchen sind angeblich eitle Mitmenschen und wachen mit Eifersucht darüber, was die Konkurrenz so treibt. Und wenn jeder – wie deshalb anzunehmen ist – die CDs der andern kauft, dann dürfte sich dieser Markt mittlerweile selber erhalten.

Il Divo haben dieses Jahr ihre wahre Bestimmung als so etwas wie die Artists in Residence der Fussball-WM gefunden. Von ihren Kollegen unterscheiden sie sich dennoch weniger durch den stimmlichen Schmelz, von dem die andern auch mehr als genug besitzen. Vielmehr zeichnen sie sich durch eine ungewöhnliche Programmidee aus: Sie amten nicht einfach als Wiederkäuer der grossen Showstücke ihres Faches. Auch auf ihrer jüngsten CD «Siempre», die den Popcorn-Geruch von Pausenmusik und roten Plüschsitzreihen in überheizten Kinosälen verströmt, unterlegen sie Chart-Hits aus R’n’B und Soul italienische und spanische Texte – etwa Brian Adams «Have You Ever Really Loved A Woman», «Nights In White Satin» von Moody Blues oder Badfingers «Without You», das in den neunziger Jahren von Mariah Carey wieder ausgegraben worden ist. Mit dem Sprachentrick verleihen die vier den Schmachtfetzen das Latino-Flair, welches Tenören besser entspricht als der Gospel- und Songwriter-Groove der Originale. Das funktioniert verblüffend gut.

Eine speziell clevere Idee sind die ausgesprochen fantasielosen Arrangements. Sie beschränken sich praktisch ausschliesslich auf die R’n’B-Ästhetik der neunziger Jahre mit ihren süsslichen stehenden Geigenteppichen, simplen Akkordrepetitionen auf dem Klavier, stereotypen Soloeinwürfen einer spanischen Gitarre und auf sorgsam geplante Höhepunkte mit bombastisch auftrumpfenden Schlagzeug-Orgien. So bleibt fast nichts anderes übrig, als die Aufmerksamkeit auf die Stimmkraft der vier Sänger zu richten. Die haben in Sachen musikalischer Gestaltung allerdings auch nicht viel mehr zu bieten als dröge Wechsel von Solos und Showdowns, die den kläglichen Rest guten Geschmacks in opulenter Quartett-Suppe ertränken.

Zum Abschluss von «Siempre» gibt’s als «Bonus Track» eine wahrhaft erschütternde Version des Bernstein-Klassikers «Somewhere» – irgendwo ist auch ein Platz für uns. In der Tat. Den ihren hat die CD bei uns bereits gefunden. (wb)

Il Divo (David Miller, Sebastien Izambard, Urs Bühler, Carlos Marin): Siempre, SYCO Music/SonyBMG.

Schreibe einen Kommentar