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Alice Sara Ott stellt sich Beethoven

16.09.2011 — Die deutsch-japanische Nachwuchspianistin Alice Sara Ott legt – eher etwas überraschend – eine CD mit Beethoven-Sonaten vor. Überraschend, weil sie sich bislang mehr als elegante Filigrantechnikern denn als Ausdeuterin deutschen Tiefsinns der eher schroff-kantigen Sorte profiliert hat. Da wagt sie, sich den unvermeidlichen Vergleichen mit Monumenten der Interpretationsgeschichte auszusetzen. Im Booklet lässt sie sich so zitieren: «Für jede Musikerin und jeden Musiker ist irgendwann der Punkt gekommen, die eigene Auseinandersetzung mit Beethoven zu dokumentieren. In meinem Fall mag dieser Zeitpunkt früh erschienen.»

Mit letzterem ist eigentlich alles gesagt. Den Schritt vom unbekümmerten Nachwuchstalent zur reifen Musikerin hat Ott noch nicht vollzogen. Ihre Gestaltungskraft reicht nicht für den beethovenschen Affektenkosmos. Noch nicht erschlossen hat sich ihr vor allem die beredte Differenzierung rhythmischer Artikulation. Vieles schnurrt da vor sich hin wie ein präzises Uhrwerk (selbst wenn der versierten Pianistin stellenweise leichte technische Nachlässigkeiten reinrutschen).

Ihr Beethoven atmet flach, wirkt deshalb manchmal fast ein wenig eilig und ohne Tiefendimension. Momente der Ruhe und Reflexion, des Aufbäumens, des mit sich Kämpfens und Widersprechens fehlen, überhaupt die einzigartige klassische Balance aus Formvollendung und Leidenschaft des musikalischen Debattierens im Detail, die diese Musik so lebendig machen könnte.

Ott ist durch die Schule des Klavierpädagogen Karl-Heinz Kämmerling am Mozarteum Salzburg gegangen. Wir zitieren dazu einen Artikel der Zeitung «Hannoversche Allgemeine» vom 8. Mai 2010 zum 80. Geburtstag des Mentors: In Pianistenkreisen, schreibt die Zeitung, sei das Etikett «Kämmerling-Schüler» ein Markenzeichen. Aber manchem gelte es als Synonym für technisch perfekte Klavierspieler. Und dann werde gerne ein leises «aber» nachgeschoben, das ein Defizit an Seelenstärke suggerieren soll.

Otts Beethoven scheint den Branchenklatsch zu bestätigen. Möglicherweise steht das smarte Jungtalent hier vor einem Scheideweg: Sich entweder mit einem weiteren Lehrer (oder einer Lehrerin) und damit einem ganz anderen pianistischen Selbstverständnis zu konfrontieren, das auch ein persönlicher Schock sein könnte. Damit könnte Ott möglicherweise zu einer wirklich grossen Interpretin weiter wachsen.

Die Alternative: Mit nahezu perfekter Technik und viel Nettigkeit droht sie früher oder später im Heer der Beliebigkeit nachdrängender «Supertalente» zu versinken. (wb)

Alice Sara Ott: Beethoven. Klaviersonate Nr. 3 C-Dur op.2 Nr.3; Klaviersonate Nr. 21 C-Dur op.53 «Waldstein», Andante favori F-Dur WoO 57; Rondo a capriccioso in G-Dur op.129 «Die Wut über einen verlorenen Groschen». Deutsche Grammophon/Universal Best.-Nr. 477 9291

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