19.02.2010 — Die Sopranistin Measha Brueggergosman hat mit «Surprise!» ein eher ungewöhnliches Debüt-Album vorgelegt, mit Nummern aus dem gehobenen Cabaret, die sie mit dem BBC Symphony Orchestra eingespielt hat. Programmatisch geht es nun etwas mehr in die Intimität der Nacht hinein und in ästhetisch noch ehrgeizigere Gefilde: In «Night and Dreams» kann sich das Temperamentsbündel, das soeben mit allem Pomp die Winterolympiade in Vancouver eröffnet hat, bloss auf ein Klavier stützen. Dieses allerdings wird von Justus Zeyen gespielt, und auf dessen Künste verlässt sich neben andern Grössen auch gerne Thomas Quasthoff – künstlerisch durchaus ein Verwandter im Geiste der Kanadierin.
Auf «Night and Dreams» reichen die Herausforderungen nun von Liedern Debussys über solche von Richard Strauss, Wolf, aber auch Schubert und Mozart bis zu Chausson, Fauré, Poulenc und einer brasilianischen Elegie auf einen Text von Vinicius de Moraes, der den Bossa Nova wesentlich mitgeprägt hat. Die nächtliche Tour d’horizon absolviert Measha Brueggergosman in fünf Sprachen. Mit dem Programm reisen sie und der Pianist diesen Frühling auch durch den deutschsprachigen Raum.
Mit «Surprise!» habe sie gezeigt, dass sie schauspielern könne, erklärt Brueggergosman im Booklet, nun wolle sie sich mit reinen Liedern präsentieren, solchen, die lange Melodiebögen hätten. Sie schiebt dazu allerdings auch hierzulande weniger Bekanntes wie ein Lied des venezolanisch-französischen Tonschöpfers Reynald Hahn oder ein solches des Briten Philip Arnold Heseltine alias Peter Warlock ein.
Mit den deutschen Komponisten Strauss, Schubert, Brahms, Wolf oder Mozart ist sie durchaus auf vertrautem Fuss, hat sie doch fünf Jahre in Deutschland studiert und sich dabei auch die Sprache angeeignet. Aber auch wenn sie sich darüberhinaus für jede Sprache intensiv hat coachen lassen: Hohe Textverständlichkeit und expressive Ausdeutung der Lyrik scheinen nicht ihre erstrangigen Ziele zu sein.
Die Vieldeutigkeit, Ungreifbarkeit der Nacht erfüllt sie mit prallem, warmem, häufig vibratoreichem Ton, der spätestens bei Mozarts «Abendempfindung an Laura» etwas übermotiviert zu wirken beginnt. Französische, angelsächsische, brasilianische, spanische und deutsche Liedkunst werden da doch etwas nivelliert. Dennoch: ein interessantes Album, das eine eigenwillige und entwicklungsfähige künstlerische Persönlichkeit fernab ausgetretener Pfade zeigt. (wb)
Measha Brueggergosman: Night and Dreams, Justus Zeyen (Klavier), Lieder von Debussy, Richard Strauss, Wolf, Schubert, Mozart, Chausson, Fauré, Poulenc, Brahms, Liszt, Henri Duparc, Xavier Montsalvatge, Francis Hime, Reynaldo Hahn, de Falla, und peter Warlock. Deutsche Grammophon (Universal), Best.-Nr. 477 8101.