04.01.2013 — Den Weltuntergang haben wir hinter uns, das neue Jahr vor uns. Den Soundtrack dazu liefert Willy Burkhard mit zwei Oratorien, die für diesen Moment komponiert zu sein scheinen: Da ist zum einen «Das Gesicht Jesaias» (1935), die Opus 41 des Schweizer Tonschöpfers, dessen Nummern 11 bis 14 den Untergang der Welt beschreiben. Das Werk setzt zu Beginn mit heftigen Chorausbrüchen auf Überwältigungs-Ästhetik und immer wieder mit archaisch anmutender Kollektiv-Einstimmigkeit auf die Wucht der alttestamentarischen Dichtung, die der Komponist selber zusammengestellt hat. Da wird farbenreich und theatralisch musiziert, höchst effektvoll und wenig «schweizerisch»-zurückhaltend.
Dasselbe gilt für das Opus 62, «Das Jahr» (1941), das die vier Jahreszeiten mit «Einleitung» und «Beschluss» rahmt und natürlich allsogleich die Assoziation zu Haydns ungleich bekannteren «Jahreszeiten» wachruft. Auch hier wird schweres musikalisches Geschütz aufgefahren und höcht effektvoll musiziert.
Burkhard hat, steht im Booklet, «Das Jahr» als sein Hauptwerk bezeichnet. Den Text dazu hat ihm der heute kaum noch bekannte Schweizer Schriftsteller Hermann Hiltbrunner geliefert, eine Art pantheistisches Bekenntnis – um noch einmal das Booklet zu zitieren –, das durchaus Parallelen zum haydnschen Gegenstück ziehen lässt.
Beide Oratorien sind unter der Leitung des legendären Luzerner Kirchenmusikers Alois Koch in den vergangenen Jahren in der Schweiz in exemplarischer Weise erneut aufgeführt worden, «Das Gesicht Jesaias» schon vor etwas längerer Zeit, im April 2000 in der Jesuitenkirche Luzern, «Das Jahr» gerade erst im Herbst vergangenen Jahres in Luzern, Bern, Basel und Winterthur.
Zur Seite standen für das Opus 62 dem Musikollegium Winterthur die Chöre Basler Madrigalisten, Evangelische Singgemeinden Bern und Zürich sowie die Knabenkantorei Luzern, ziemlich viel vokaler Schub also. Als Solisten amteten mit Maya Boog (Sopran), Irène Friedli (Alt) und Rudolf Rosen (Bass) auch nicht gerade Unbekannte.
«Das Gesicht Jesaias» wiederum realisierten die Domkapelle Berlin, der Akademiechor Luzern, der Domorganist Thomas Sauer sowie die Solisten Barbara Locher (Sopran), Bernhard Hunziker (Tenor) und Peter Brechbühler (Bass).
Das Migros-Kulturprozent-Label Musiques Suisses hat die Aufführungen rechtzeitig zu Weltuntergang und Jahreswechsel auf einer Doppel-CD dokumentiert. Das ist verdienstvoll. Sie dokumentiert auf eindrückliche Weise, was im Booklet behauptet wird, nämlich, dass Burkhard zu den «führenden Komponisten der europäischen Moderne in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts» zählte. Er wird nach wie vor auch in seinem Heimatland noch unterschätzt. (wb)
Willy Burkhard: Das Gesicht Jesaias/Das Jahr, Alois Koch (Leitung), Doppel-CD Musiques Suisses, MGB CD 6273. Bezugsquelle: www.musiques-suisses.ch