14.09.2012 — Ein Herz und eine Seele waren sie ja nun weiss Gott nicht. Glenn Gould, der menschenscheue Perfektionist am Klavier und Elisabeth Schwarzkopf, die nicht minder perfektionistische Jahrhundertsängerin. Die ästhetischen Werte unterschieden sich. Wobei in dieser Hinsicht eher von den Unterschieden zwischen Gould und Walter Legge die Rede sein sollte, hatte da doch letztlich Schwarzkopfs Ehemann (ihr «künstlerisches Gewissen») das letzte Wort. Auch die Auffassungen darüber, wie im Studio gearbeitet werden sollte, waren unvereinbar (wie sich zeigen sollte). In einem aber trafen sich Tastenmann und Sopranistin: In der Liebe zum Werk von Richard Strauss.
Es kam im Januar 1966 zu einem legendären Treffen der beiden in einem New Yorker Studio. Geplant waren vier Sitzungen zum Einspielen von Strauss-Liedern. Nach zwei Sitzungen war Schluss. Elisabeth Schwarzkopf konnte nicht mehr. Der Raum war (um Gould entgegenzukommen) völlig überheizt – Gift für die Sängerin; Gould war überdies der Überzeugung, Strauss habe die Musik nur skizziert, und es sei nun an ihm, das zu spielen, was der Komponist wirklich gemeint habe. Das wiederum stellte sich bei jedem Neuversuch als etwas komplett anderes heraus.
Schwarzkopf und Legge wollten die Aufnahmen auch immer mal wieder abhören, Gould experimentierte einfach unablässig weiter auf dem Klavier. Der Sängerin war der Notentext mit seinen interpretatorischen Anweisungen heilig, Gould seine private Inspiration… Der Kanadier betrachtete die Sängerin nach dem Zeugnis der Anwesenden bloss als Assistentin, die ihm bei seinen Interpretationen sekundierte, Frau Schwarzkopf wiederum glaubte, einfach einen herausragenden Begleiter neben sich zu haben.
Dass es überhaupt zu dem legendären Treffen kam, war nicht selbstverständlich. Legge war die Verkörperung der britischen EMI, Gould Columbia-Künstler, was nicht unkomplizierte Verhandlungen nötig machte. Am Rande eines Auftrittes Schwarzkopfs in New York (in Mozarts «Don Giovanni») war es dann aber so weit. Als Produzent amtete offiziell der legendäre Columbia-Mann Paul Myers.
Bei allen Differenzen waren die beiden so herausragend agierende Künstler, dass so oder so atemraubende Einspielungen entstanden. Drei der Lieder («Ophelia-Lieder» op. 67) wurden 14 Jahre später auf einem Jubiläums-Album Goulds erstmals veröffentlicht. Sie finden sich hier wieder. Weitere drei («Wer lieben will muss leiden» op. 49 Nr.7, «Morgen» op. 27 Nr.4, «Winterweihe» op. 48 Nr. 4) macht Sony nun als Erstveröffentlichung verfügbar – zusammen mit der Einspielung der «Burleske» durch Gould und das Toronto Symphony Orchestra.
Auf einer zweiten CD findet sich ein vom WDR 3 exzellent produziertes Dokumdrama zu den Studiosessions, das einen lebhaften Eindruck der Ereignisse gibt. Das Hörspiel mit Dokumentaraufnahmen orientiert sich auch formal an Goulds Ästhetik, nämlich an seinen allgemeinen Ideen zu einem «kontrapunktischen Radio», wie er sie in seinen eigenen Radio-Arbeiten für CBC umgesetzt hat. (wb)
Glenn Gould. Die Schwarzkopf-Bänder. Sony Classical Doppel-CD, Best.-Nr. 88725462362.