27.09.2013 — Weshalb ist die Barockoper in den letzten Jahren derart populär geworden? Eine interessante Frage, denn die aristokratischen Inhalte ‒ Göttergeschichten in höfischer Geziertheit ‒ sind unzeitgemäss, die Stilmittel ‒ quäkende, lärmende Bläser, ungehobelte Streicher und widernatürliche Stimmlagen ‒ für heutige Ohren gewöhnungsbedürftig… Da haben sich vermutlich drei ästhetische Phänomene gegenseitig verstärkt: Die Alte-Musik-Bewegung ist in alles hineingewuchert, dessen sie habhaft werden konnte, nach der Kammer- und Orchestermusik auch in die Bühnenwerke; das klassisch-romantische Repertorie ist mittlerweile so oft rauf- und runtergefiedelt worden, dass die Opernhäuser einen neuen Kick gesucht haben; und restaurative Tendenzen mit einer Betonung klassischen Bildungsgutes wie Latein, antiker Mythologie und Bewunderung für elitär-aristokratische Attitüden haben das Potential der Barockoper zur scheinbaren Abgrenzung gegenüber demokratischen Massenkulturen genutzt.
So wird denn mittlerweile landauf, landab Monteverdi, Lully, Rameau und Händel von den Schnürböden runtergefahren, befeuert von geschäftstüchtigen Exponenten der Opernszene, die eine von der Finanzindustrie unterfütterte Glamourvariante für habliche Bonviants anbieten ‒ zum mittlerweile etwas muffig gewordenen Wagnerkult des Grossbürgertums.
Dabei könnte man fast vergessen, dass da von Pionieren viel Entdeckungs- und Interpretationsarbeit geleistet worden ist. Ihre Leistungen dokumentiert eine Kassette von harmonia mundi zum überaus moderaten Preis mit 39 CD, 3 DVD und einer CD-ROM als Querschnitt durch das europäische Opernschaffen vor Empfindsamkeit und Sturm und Drang.
René Jacobs ist als Dirigent naheliegenderweise prominent vertreten, etwa mit Monteverdis «L’Orfeo», der ersten noch erhaltenen Opernpartitur der Epoche, oder Purcells «Dido and Aeneas», Händels «Rinaldo» und Telemanns «Orpheus». William Christie dirigiert unter anderem Lullys «Atys» oder Rameaus «Les Indes galantes», und Lars Ulrich Mortensen Händels «Giulio Cesare». Dokumentiert sind insgesamt drei deutsche, vier italienische und je fünf englische und französische Opern, dazu deutsche Ouvertüren und italienische Madrigalwerke ‒ alles Referenzaufnahmen. Zugreifen. Es gibt barockes Leben vor Cecilia Bartoli und Donna Leon. (wb)
Opera baroque. harmonia mundi, 36 DC, 3 DVD, 1 CD-ROM. HMX 2908658.99