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Leben in dieser Zeit: Radio-Pionier Kästner

31.12.2010 — Radio ist der Verbreitungskanal für Musik. Das ist heute selbstverständlich. In der Pionierzeit dieses ersten elektronischen Massenmediums bedeutete es allerdings für die klingende Kunst noch eine Herausforderung, denn die Hörer zuhause verfügten bloss über primitive Lautsprecher, die nicht jede Art von Musik optimal zur Geltung brachten. Ende der 1920er-Jahre überlegten sich der Komponist und Leiter der Musikabteilung des Breslauer Rundfunks Edmund Nick und der Schriftsteller Erich Kästner deshalb, ob es nicht möglich wäre, eine auf die technischen Möglichkeiten des Radios zugeschnittene Musikrevue zu kreieren. Das Resultat war Leben in dieser Zeit, eine «Lyrische Suite» in drei Sätzen in Hörspielform, die 2008 von der Staatsoper Dresden in Zusammenarbeit mit dem Label cpo rekonstruiert und auf CD eingespielt worden ist.

Das Werk schildert in einer lockeren Abfolge von kabarettistisch-literarischen Liedern und in gewohnt hochklassiger literarischer Manier Kästners das Leben des «Durchschnittsmenschen Schmidt». Es wurde von seinen Schöpfern später in eine Theaterfassung gebracht, die am 16. Oktober 1931 im Alten Theater Leipzig zur Uraufführung kam, die auch schnell auf anderen Bühnen Fuss fasste. 1933 wurde es allerdings von den Nationalsozialisten verboten; über die Kriegszeit ging es weitgehend vergessen.

Auf der CD, auf der Marcus Günzel als Sprecher, Christian Grygas als Schmidt und Elke Kottmair als Chansonette neben zahlreichen andern einen exzellenten Job machen, finden sich auch historische Aufnahmen – eine solche eines Songs aus dem Spiel, der 1930 von Nick mit dem Königsberger Funkorchester eingespielt worden ist, eine Privataufnahme, auf der Nick 1969 einen Song selber singt und sich dabei auf dem Klavier begleitet, sowie ein MDR-Dokument mit literarischen Erinnerungen Dagmar Nicks.

Die Aufnahme ist die erste einer Reihe von Produktionen, mit denen die Staatsoperette Dresden sich für den historisch bewussten Umgang mit der leichteren Muse stark macht. Als Koproduktion mit dem WDR Köln hat sie Johann Strauss’ komische Operette Prinz Methusalem verewigt. Eingespielt hat sie überdies drei Nummern aus Jacques Offenbachs La Périchole, die seit 1870 nicht mehr zu erleben waren und als verschollen galten. Offenbach hatte sie eigens für Wiener Aufführungen komponiert, danach galten sie als verschollen.

Sie wurden im Zuge der Vorbereitungen für eine Dresdner La Périchole-Aufführung wieder gefunden und neu ediert. Dazu gehört der sogenannte Geistinger-Walzer, ein virtuoses Paradestück, das seinen Namen einer legendären Wiener Soubrette gleichen Namens verdankt, für die sowohl Johann Strauss als auch Offenbach immer wieder Gesangsnummern komponierten. (wb)

Edmund Nick (1891-1974): Lyrische Suite Leben in dieser Zeit. Marcus Günzel (Sprecher),Christian Grygas, Elke Kottmair, Chor & Orchester der Staatsoperette Dresden, Ernst Theis, CPO.

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