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Mitsuko Uchidas Reverenz an Schumann

22.10.2010 — So liest sich Mitsuko Uchidas Diskografie: Mozart, Mozart, Mozart, Mozart … Mozart, Schubert, Schubert, Schubert, Mozart, Mozart, Beethoven, Beethoven und (im Kleingedruckten) Chopin, Debussy, Berg, Schönberg und, ach ja, 1995 ein Exkurs in Sachen Schumann: Carnaval und Kreisleriana. Die japanische Pianistin hat es nicht so mit der deutschen Hochromantik. Umso überraschender die Einspielung der weniger populären Davidsbündlertänze und der als Fantasie kaschierten Sonate op. 17.

Davidsbündlertänze? Die würde sie ins Grab mitnehmen, erklärt die Japanerin in einem auf Englisch geführten Audio-Interview, das der Deluxe-Version der CD beigefügt ist. Der Zyklus werde unterschätzt, und in Kombination mit der Fantasie ergebe sich so etwas wie eine Paarung, der – vom ästhetischen Verhältnis her – etwa die von Schuberts Liederzyklen «Schöne Müllerin» und «Winterreise» entspreche: eine vordergründig leichte Nummernrevue, die ihren Tiefgang verhüllt und ein komplexes, eher sperriges Gesamtkunstwerk.

Da ist man versucht, die Paarung in Analogie zu den beiden von Schumann kreierten literarischen Figuren zu setzen: zum tiefgründigen, impulsiven und leidenschaftlichen Florestan und dem schwärmerischen, sanften und transparenten Eusebius. Die Leidenschaft der Fantasie, so die Pianistin, sei aber nicht diejenige Florestans, wie sie in den Davidsbündlertänzen mit der Sanftmut von Eusebius kontrastiert werde.

Vielmehr sieht sie darin eine authentisch schumannsche Passion, zu der selbst seine Frau Clara nicht Zugang gefunden habe. Ihr sei die Musik des gemeinsamen Freundes Brahms im Grunde sowieso näher gewesen als diejenige des eigenen Mannes. Möglich, dass Claras eher konservativen Temperament schon der wahre Schumann im Grunde genommen zu skurril und modern gewesen ist (siehe dazu auch diesen Dossier-Text)

Dass Schumann die Davidsbündlertänze Clara als eine Art Liebeserklärung zueignete (und auch mit einem Zitat aus einer ihrer eigenen Kompositionen anheben lässt), entbehrt da nicht einer gewissen Tragik. Clara, die den Zyklus zu nahe beim Carnaval fand, ohne dass er in ihren Augen dessen Klarheit und Originalität erreichen würde, nahm ihn nämlich erst nach Schumanns Tod ins Repertoire auf.

Dass Eusebius, so Mitsuko Uchida in dem Interview, im imaginären Wettstreit mit Florestan schliesslich gewinne, sei schon von Beginn weg klar. Man hat denn auch den Eindruck, dass sie die Eusebius zugeschriebenen Partien mit mehr Emphase (und teils deutlich langsameren Tempi als von Schumann vorgegeben) ausdeutet und den Florestan-Partien – wie auch der Fantasie – die ganze Schroffheit und Impulsivität andienen lässt, die sie darin vorzufinden glaubt.

Die kühnen Passagen der Florestan-Werke könnten an Beethoven gemahnen, für dessen Bonner Denkmal die Fantasie auch geschrieben worden ist – als Beitrag zum «Fundraising», wie man heute wohl neudeutsch sagen würde. Allerdings sei Beethovens Offbeat – so Mitsuko Uchida – ein Resultat der kontrapunktischen Denkweise des Bonner Meisters, also Folge abstrakter Prozesse, wohingegen Schumanns Offbeat direkt physischem Erleben entspringe. (wb)

Mitsuko Uchida: Schumann. Fantasie op. 17, Davidsbündlertänze op. 6. Universal/Decca, Best.-Nr. 478 2280.

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