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Mozart mit Erdmann und La Cetra

15.04.2011 — Das beginnt mit «Tiger! Wetze nur die Klauen» (Mozart, Zaïde) und endet mit «Die Klüfte sausen» (Holzbauer – wer zum Teufel ist Holzbauer? –, Günther von Schwarzburg). Das ist also schon literarisch ziemlich unterhaltsam. Die Sopranistin Mojca Erdmann, seit ihrem Auftritt letztes Jahr an den Salzburger Festspielen in Rihms «Dionysos» neuer Shooting Star der Sangeskunst in hohen Lagen, lässt sich auf die Dramatik der Mozart-Arien kompromisslos ein. Das Album, das sie mit dem Basler Barockorchester La Cetra unter Leitung Andrea Marcons eingespielt hat, heisst «Mostly Mozart» (was nichts mit dem gleichnamigen New Yorker Musikfestival zu tun hat). Es verführt zum Hören mit Vorurteilen, weil La Cetra sich ja eben als Barockorchester ausgibt, und Mozart eben kein Barockkomponist ist.

Naheliegenderweise nimmt man also an, dass da Musik der Wiener Klassik in barockem Leinenhemd gespielt wird. Die Dinge sind allerdings wie so oft im Leben komplizierter. Der italienische Stardirigent Abbado spielt mit seinem Mozart Orchestra ja auch Musik des Barocks. Epochenverhaftete Ensembles scheinen sich heute mehr als Klangkörper mit bestimmten Kernkompetenzen oder Perspektiven zu verstehen, als dass sie stilistisch geschlossene Gesellschaften bildeten.

Man meint aber zumindest, einen dunklen, schweren Mozartklang zu hören, der durchaus barockem Klangempfinden geschuldet sein könnte. Erdmanns Stimme fügt sich da ein und bleibt zugleich widerständig. Der Sopran wirkt in allen Lagen intonationssicher, (noch?) eher monochrom und dramatisch bis scharf. Und er scheint mit etwas zuviel Hall oder zu grosser Mikrophondistanz aufgenommen.

In Paminas «Ach ich fühl’s, es ist verschwunden», dem erklärten Kernstück des Albums, zeigt sich aber auch der Wille Erdmanns zu eigenständiger ästhetischer Auslegeordnung im mozartschen Kosmos. So langsam hat man die Arie wohl noch nie gehört. Da wird das klassische Gleichmass, die ästhetische Distanz, die Mozart laut kanonischer Interpretation wichtig war, negiert und zugunsten einer expressiven, individualistischen, schon fast veristischen Auffassung aufgegeben. Ein interessantes Verfahren, das zunächst einmal überrascht und verblüfft, wenn auch nicht spontan überzeugt.

Iganz Holzbauer (1711 bis 1783), dessen Werke in Ausschnitten neben denjenigen Salieris, Paisiellos und Johann Christian Bachs hier auch vertreten sind, ist übrigens ein Komponist, der 15 Opern und fast doppelt soviele Sinfonien wie Haydn (!) geschrieben hat. Das sind lauter kleine Repertoireentdeckungen, die Erdmann und Marcon hier präsentieren. Der einsame Spitzenton zum Schluss der letzten Holzbauer-Arie zeigt aber auch die Ambitus-Grenzen der Stimme Erdmanns auf.

Wie das Barockorchester und Marcon Mozart sehen, respektive hören, darüber gibt eine zweite CD Auskunft, die sozusagen als Folgeprojekt von «Mostly Mozart» entstanden ist – mit weniger bekannten bis populären Ouvertüren (eigentlich allen ausser Il sogno di Scipione, La finta giardiniera und Les Petits Riens). Da ist nichts mehr mit luzid-equilibriertem, apollinischem Tröster, da wird ein knalliger, praller, draller Mozart mit viel Pauken- und Trompetendonner, barocker Theatermaschinerie und dynamischen Geschmacksverstärkern zubereitet, der zuerst mal verdaut werden muss.

Es drängen ja viele Mozart-Scherben auf den Markt, und alle tönen sie irgendwie gleich losgelöst von irdischer Schwere (mit Ausnahme vielleicht der Mozart-Sonate, die Hélène Grimaud eingespielt hat). Diese hier, ja diese, die tönt nun mal wirklich anders.

Wer den tröstlichen, versöhnlichen, klangschön-ausgewogenen und sinnlichen Mozart nicht missen mag, der kann sich an die CD «Mozart» des Bassbaritons Ildebrando d’Arcangelo halten. Die Sangeskunst des Italieners ist so betörend, dass sich das Orchestra del Teatro Regio di Torino von einem ursprünglich ins Auge gefassten Streik abhalten liess, um unter der Stabführung Gianandrea Nosedas mitzutun. Da verströmt selbst die Mandoline – gespielt von einer Könnerin namens Dora Fillipone – unwiderstehlichen mediterranen Charme. Versammelt sind die grossen Renner aus den Opern des Salzburger Meisters für Ildebrandos Stimmlage. Ein Album zum Glücklichwerden. (wb)

Mostly Mozart. Mojca Erdmann (Sopran), La Cetra Barockorchester Basel (Orchester), Andrea Marcon (Dirigent), arien von Mozart, Salieri, Paisiello, Ignaz Holzbauer und Johann Christian Bach. Deutsche Grammophon/Universal, Best.-Nr. 477 8979.
Mozart Ouvertures, La Cetra, Andrea Marcon (Dirigent). Deutsche Grammophon/Universal, Best.-Nr. 477 9445.
Ildebrando d’Arcangelo: Mozart. Orchestra del Teatro Regio di Torino, Gianandrea Noseda (Dirigent). Deutsche Grammophon/Universal, Best.-Nr. 477 9297.

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