19.03.2010 — Brahms hat, bereits in fortgeschrittenem Alter, drei Violinsonaten geschrieben, die erste in Bonn, die zweite und dritte in den Ferien in Thun. Sie alle stammen also aus einer Schaffensepoche, in welcher der Komponist gerade in der Kammermusik so souverän über technisches Handwerk und expressive Souveränität verfügte, dass er keinerlei vordergündiges Blendwerk produzieren musste. Für den begleitenden Pianisten sind sie fast anspruchsvoller als für die Violine. Es sind in den Tasten volle, ja üppige Sätze, was man ihnen – nicht zuletzt wegen der Schlichtheit der Streicherparts – nicht unbedingt anhört.
Es lohnt sich aufgrund ihrer künstlerischen Meisterschaft für Geigerinnen und Geiger immer wieder, auf sie zurückzukommen und neue Wege zu ihrer Ausdeutung zu erschliessen. Auch Anne-Sophie Mutter hat dies getan. 1982 hat sie sie mit Alexis Weissenberg am Klavier bereits einmal eingespielt. Nun legt sie zusammen mit ihrem Klavierpartner Lambert Orkis eine zweite Aufnahme vor, die aufhorchen lässt.
Das Cover der CD wirkt wie weichgezeichneter und farbreduzierter Klimt: Klimt passt in die Zeit, in der Brahms die Werke geschrieben hat, auch das beinahe Monochrome der Foto scheint symbolisch. Anne-Sophie Mutter, die mit der CD das Ende einer kürzeren Auszeit anzeigt, erweist sich hier als überraschend asketische, manchmal fahle, manchmal ungewohnt spröde Interpretin, so als scheine sie sich von der blühenden Jugend, welche die jungmädchenhaften Booklet-Gestaltungen ihrer letzten Silberscheiben noch beschwor, befreien zu wollen.
Zum einen verschmilzt Mutters Violinspiel hier mit demjenigen des Pianisten zum in sich stimmigen Gesamtgemälde. Zum andern wird man beim Abhören der Aufnahmen den Eindruck nicht los, dass da in der disziplinierten und dennoch seismografischen Feinarbeit an der expressiven Ausdeutung des Geigenparts die Erfahrung mit der Arbeit an Sofia Gubaidulinas Violinkonzert und anderen zeitgenössischen Werken nachklingt. Da scheint sich bei Anne-Sophie Mutter, die in den letzten Jahren mit Blick auf das kanonische Repertoire auch Unverbindliches bis Belangloses vorgelegt hat, eine authentische innere Stimme zu festigen, ihre weitere künstlerische Entwicklung wird man da mit neu gewecktem Interesse verfolgen. (wb)
Brahms: The Violin Sonatas, Anne-Sophie Mutter (Violine), Lambert Orkis (Klavier). Aufnahme vom November/Dezember 2009 im Bibliothkesaal Polling. Koporduktion von BR-Klassik und Deutsche Grammophon/Universal Best.Nr. 477 8767.