17.08.2012 — Im deutschen Sprachraum werden Gedenkjahre für Wagner und Schönberg opulent gefeiert. Ein Debussy-Jahr hingegen erzeugt wenig Resonanz. Das Verhältnis der deutschen zur französischen Musik spiegelt noch immer Schwierigkeiten im Verständnis. Adornos Propagandaschriften zur Quasi-Heiligsprechung Arnold Schönbergs als Grossem Innovator der Musik im 20. Jahrhundert wirken noch heute nach, auch Schönbergs eigene Überzeugung mit nationalistischen Untertönen – er glaubte, mit seiner Zwölftonmusik die «Vorherrschaft der deutschen Musik für die nächsten hundert Jahre» gesichert zu haben.
Deutsche Bildung bedeutet intellektuelles Bekenntnis, Struktur, Debatte. Die scheinbar formlosen, auf Atmosphäre und Klangsinnlichkeit zielenden Werke Debussys sind dazu fast so etwas wie ein Gegenentwurf. Ein Schreckgespenst für den deutschen Intellekt. Das zieht sich heute noch bis in die Popmusik: der karge Rebell Bob Dylan trifft hierzulande den Ton, die sich atmosphärisch-sinnlich intellektuellen Interpretationen entziehende Lady Gaga gilt als Niedergang der gehobenen Popkultur.
Wer Klassifikationen braucht, der sieht drei grosse Erneuerer der musikalischen Gestaltungsmittel zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Schönberg, der Struktur und Kontrapunkt revolutioniert, Strawinsky, der dasselbe für den Rhythmus tut, und Debussy dito für den Klang.
Rechtzeitig zum Debussy-Jubiläum – am 22. August feiern wir seinen 150. Geburtstag – legt der französische Pianist Pierre-Laurent Aimard eine Einspielung der beiden Bücher mit «Préludes» Debussys vor. Man kann ihn als direkten Erben der Ästhetik Debussys betrachten, studierte er doch bei Olivier Messiaens Frau Yvonne Loriod. Messiaen selber war von Debussys «Pelleas et Mélisande» zutiefst beeinflusst.
Debussys Préludes bezeichnet Aimard als «wundervolle Klanglabyrinthe», als «äusserst farbenreiche, orchestrale Musik, die vom Interpreten verlangt, sämtliche Instrumente des Orchesters hörbar zu machen». Er misst sich dabei bewusst mit früheren Referenzaufnahmen, legt aber hier selber eine vor – für die Deutsche Grammophon.
Hoffentlich hilft sie, das Verständnis für die Musik des Impressionisten hierzulande noch etwas zu vertiefen. Aufgenommen worden ist sie übrigens im Mai dieses Jahres in der Schweiz, im Arc en Scènes La Chaux-de-Fonds, auf Aimards eigenem Steinway. (wb)
Debussy: Préludes Books 1 & 2. Pierre-Laurent Aimard (Klavier). Deutsche Grammophon, Best.-Nr. 477 9982.