11.12.2009 — Roberto Alagna geht nächstes Jahr mit seinem Sizilien-Programm in Frankreich auf Tournee (in die Nähe der Schweiz verschlägt es ihn dabei am 8. Mai 2009, da tritt er in Strassburg auf). Den Boden bereitet die Deutsche Grammophon mit der Lancierung eines Live-Albums eines Stadion-Auftrittes vom 18. August in Nîmes. Es gibt dazu auch eine Doppel-DVD. Der italofranzösische Tenor beschwört mit der populären Show seine sizilianische Herkunft. In seiner Kindheit, schreibt er im Booklet, habe er mit andern Kindern die Weisen der ursprünglichen Heimat zu Hause bloss mezza voce gesungen – um die Nachbarn nicht zu verärgern. Nun darf er sie mit prall gefüllter Lunge in die französische Nacht hinausschmettern.
Das Projekt ist einerseits anrührend, andererseits von zahlreichen Brüchen geprägt. Die sizilianischen Volkslieder kommen auf der 400’000 Mal verkauften Original-CD «Sicilien» stimmungsvoll rüber, mit ihrer auf den familiären und dörflichen Rahmen abgestimmten Intimität eignen sie sich weniger als Glamour-Programm für grosse Hallen und Stadien.
Das Konzert in Nîmes hat Alagna zudem mit Titeln angereichert, die eher dem globalen Showgeschäft entstammen – etwa die Filmmusik zu «Cinema Paradiso» und ein Zwischenspiel zum Film «Der Pate» – oder wenig bis nichts Sizilianisches haben. Letzteres trifft etwa auf Luis Marianos Oberschnulze «Mexico» zu, die Kopfstimmenturnen zum Showeffekt verkommen lässt, oder auf den Reisser «O Sole Mio», zumindest solange man der Meinung ist, Neapolitanisches gehöre nicht in die italienische Stiefelspitze.
Hinzu kommt, dass der Stimme des Tenors, der das Programm auch wenig sizilianisch in Französisch moderiert, von der Tontechnik ein metallisches, monochromes Timbre verpasst wird. Das dürfte vermutlich den Konzessionen zuzuschreiben sein, die ein Stadionauftritt machen muss, soll eine Stimme wirklich bis in die hintersten Ränge tragen.
Möglich, dass Alagna versucht, in die Lücke zu springen, die Pavarotti als Löwenkönig der Fussballstadien hinterlassen hat, ohne dessen Repertoire einfach zu kopieren. Das ist natürlich legitim. Es wird interessant sein, zu verfolgen, wie er im Lauf der Frankreich–Tournee dabei wachsen wird. Am Charisma Pavarottis dürfte er gemessen werden, und vieles, vor allem die emotionalen Ausbrüche in den Klageliedern wirkt noch allzu sehr theatralisch chargiert.
Wie Pavarotti verfügt er, im Gegensatz zun andern Stadion-Tenören, auf der Opernbühne über eine herausragende, hoch differenzierte Gesangstechnik. Das färbt nun denn doch auch hier ab. Und die Arrangements des Begleitensembles unter der Leitung des Pianisten und Klarinettisten Yvan Cassar sind intelligent und voller Spielfreude. Wer das Live-Ambiente mag und im Geiste das Feuerzeug mitschwenken möchte, der ist mit dem Live-Album gut bedient. Wer es vorzieht, Alagnas Gestaltungskraft differenzierter und initimer zu geniessen, der nehme sich das ursprüngliche Studioalbum zur Brust. (wb)
Roberto Alagna: Sicilien live, Doppel-CD eines Konzertes in Nîmes vom 18. August 2009, Deutsche Grammophon, CD 0028947781042