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Ruggero Leoncavallos «I Medici»

11.06.2010 — Giuliano singt: «Ein junges Mägdlein! Bist du’s die mich gerufen?», Simonetta antwortet (verwirrt): «Ja, ich!». Giuliano: «Du leidest?», und Simonetta: «Nur Schwäche, nur der Schrecken und die Bedrängnis». Das sind die wesentlichen Opernstoffe des 19. Jahrhunderts auf ein paar Zeilen eingedampft. Dass das Resultat der Liebe auf den ersten Blick die illegitime Zeugung eines Papstes mit einer Nebenbuhlerin ist, entbehrt da nicht einer gewissen Delikatesse.

Der Dialog stammt aus dem ersten Akt von «I Medici», einer Oper, mit der Ruggero Leoncavallo 1893 die italienische Antwort auf das deutsche Musiktheater Richard Wagners auf die Bühne bringen wollte. Sie beschreibt den Machtkampf um Florenz im 15. Jahrhundert zwischen der Familie der Medici und dem Papst Sixtus IV. Lorenzo der Prächtige überlebt einen Attentatsversuch. Sein Bruder Giuliano hingegen wird Opfer der Attacke, macht zuvor allerdings noch mit dem Botticelli-Modell Simonetta Vespucci – eine Art Claudia Schiffer der Renaissance – und Fioretta Gorini rum. Fioretta bringt (natürlich erst nach dem Fall des Vorhangs) Giulianos unehelichen Sohn zur Welt, der später zu Papst Klemens VII. wird.

In Leoncavallos eigenem, ziemlich schwülstigem Libretto leidet Simonetta an der Krankheit, die unvermeidlich alle Opernheldinnen des 19. Jahrhunderts befällt. Schwindsucht macht sie zum so zarten und beschützenswerten wie betrogenen Wesen in einer grausamen männlichen Welt der politischen und gesellschaftlichen Intrigen. Sie stirbt denn im dritten Akt auch effektvoll in den Armen Giulianos.

Den Akt bloss auf die (kurze) Sterbeszene zu reduzieren (Simonetta bleiben die sonst beliebten endlosen Kantilenen im Todeskampf erspart) würde ihm allerdings nicht gerecht. Er entwickelt in bester Theatermanier die Pläne zur Ermordung der Medici-Brüder, die Entdeckung der Intrige und den vergeblichen Versuch Simonettas Giuliano zu warnen (ihr Ableben kommt ihr dazwischen). Der vierte Akt schliesslich vereint Solisten, Volk und Kirchenvertreter zu einem packenden Showdown.

«I Medici» ist eine echte Entdeckung, der man einen Stammplatz im Repertoire gönnen würde. Die Geschichte, die Erfundenes und Historisches geschickt zu einem virtuellen Nationalmythos verwebt, hat Leoncavallo in überzeugende Musik gegossen, mit einer Mischung aus opulenter Wagner-Leitmotivtechnik und italienischem Nummern-Belcanto, angereichert mit wirksamen Chorszenen, die mittelalterliche Tanzmotive und Kirchenambiente beschwören.

Für das Werk bricht hier Placido Domingo eine Lanze, nachdem er für die Deutsche Grammophon bereits den unkonventionellen Liederzyklus «La Nuit de mai» des Komponisten (siehe Codex-flores-Rezension) eingespielt hat. Er selber singt überzeugend die schwierige Rolle des Giuliano. Auch die weiteren Sängerpartien sind absolut hochkarätig besetzt – ohne Berührungsängste mit traditionell intensivem Opern-Vibrato. Orchester und Chor del Maggio Musicale Fiorentino und der Dirigent Alberto Veronesi zeigen sich ebenfalls von der besten Seite.

Die Deutsche Grammophon bewirbt die Aufnahme als erste kommerzielle Einspielung der Oper. Im Internet findet sich noch ein Hinweis auf eine Aufnahme von 1993 mit Marcello Viotti als Dirigent, dem RSO Frankfurt und dem Ungarischen Rundfunkchor. (wb)

Ruggero Leoncavallo: I Medici, Plácido Domingo (Giuliano de’Medici/Tenor), Carlos Álvarez (Lorenzo de’Medici/Bariton), Daniela Dessì (Simonetta Cattanei/Sopran), Renata Lamanda (Fioretta de‘ Gori/Mezzosopran), Eric Owens (Giambattista da Montesecco/Bariton), Vitalij Kowaljow (Francesco Pazzi/Bass), Carlo Bosi (Bernardo Bandini/Tenor), Arutjun Kotchinian (L’Arcivescovo Salviati/Bass), Fabio Maria Capitanucci (Il Poliziano/Bariton), Coro del Maggio Musicale Fiorentino, Coro di Voci Bianche della Scuola di Musica di Fiesole, Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino, Alberto Veronesi (Leitung), Universal/Deutsche Grammophon, Best. Nr. 477 7456, Doppel-CD, Gesamtspieldauer 2h 5min.

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