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Vom Kanon- zum Konzept-Album

05.08.2011 –– Bach hat eine Reihe von Klaviermusik-Zyklen hinterlassen – wohltemperierte, kunststiftende, tänzerische – und der heutige Umgang damit ist beispielhaft für den Wandel im ästhetischen Selbstverständnis klassischer Musiker. Virtuosen der älteren Generation haben offenbar nach wie vor das Bedürfnis, damit Denkmäler (oder auch bloss Erinnerungsstatuetten) zu errichten. Maurizio Pollini hat, wie unzählige vor ihm, das Wohltemperierte Klavier als Gesamtkunstwerk eingespielt, Vladimir Ashkenazy hat dasselbe mit den sechs Partitas getan. Da stehn sie nun, als erratische Blöcke, Monumente barocken Zeitgeistes und kontrapunktischer Systematik im Silberscheibenregal.

Auch der gerade mal dreissigjährige luxemburgische Pianist Francesco Tristano nimmt eine Partita Bachs als Ausgangspunkt seines Albums bachCage. Der Name ist tatsächlich so geschrieben und suggeriert eine Art beschädigtes Palindrom. Es drängt sich auf, weil die Namen beider Komponisten, die sich gerne in metaphysischen Symbolspekulationen ergingen, aus lauter Buchstaben bestehen, die auch absolute Tonhöhen bezeichnen. Es sind überdies griffige «Four Letter Names», wie der englische Booklet-Originaltext zum Tristano-Album vermerkt, auch wenn die im Englischen damit gelabelte Wortkategorie nun ja nicht gerade zur feinen Art gehört.

Tristanos Album kennt keinen konstruktiven Kanon und hat nichts Monumentales. Es folgt einem Konzept-Gedanken, verknüpft die Werke Bachs und Cages und verkettet sie mit kurzen eigenen kompositorischen Kommentaren. Die Werke fliessen auch produktionstechnisch ineinander, so öffnet sich in den letzten Takten der ersten Partita Bachs etwa bereits der Hallraum des folgenden Stücks In A Landscape von Cage. Es entsteht damit ein offenes Gesamtkunstwerk, das Fragen suggeriert und nicht wie die abschliessenden Steinmetzzeichen anmutet, die Bach mit seinem «b-a-c-h» zur Signatur in seine Werke einfügte und die das Verständnis der älteren Generation noch immer prägen.

Wollte man die Spekulationen im Sinne Cages, der immer wieder mit Zufallsprozessen kokettierte, weiterführen, könnte man sich von den Namen auch zu Charakterdeutungen hinreissen lassen: Entspricht der enge und absolute dichte Tonraum des «b-a-c-h» nicht dem Charakter des Thomaskantors genauso wie das entspannte, Pentatonik suggerierende «c-a-g-e» demjenigen des amerikanischen Tüftlers und Pröblers?

Das ist aber natürlich Unsinn. Weitaus interessanter ist die Frage, ob die unterschiedlichen Konzepte sich in der musikalischen Ästhetik niederschlagen. Vergleicht man die Interpretation der Partita Bachs, die sich sowohl auf Tristanos Album wie auf Ashkenazys Doppel-CD finden, so kann man dies eindeutig bejahen. Ashkenazy führt einen kräftigen, zügigen Strich, der etwa im Präludium eine klare einzelne Linie favorisiert und sich nicht in mikrorhythmischen und -klanglichen Nuancen verliert. Die Brennweite scheint da bereits auf das Ganze der sechs Partiten eingestellt.

Tristanos Intepretation ist filigraner, subtiler in der federnden Rhythmik und klangbewusster, sei dies im Gewebe, das im Präludium sich luzid in der Vertikale verspinnt oder der Aquarellqualität des chromatischen Absinkens in der abschliessenden Gigue. Sie entspricht damit auch der etwas selbstverliebt anmutenden und damit absolut zeitgeistigen Selbstinszenierung der Booklet-Fotos des Pianisten. Dass sich auf dem Booklet der CD Ashkenazys der Musiker bloss in kantiger Gegenlicht-Silhouette abbildet und das Klavier ins Zentrum rückt, unterstreicht den Mentalitäts-Wandel.

Dennoch: Beide Ansätze haben etwas für sich, in beiden zeigen sich Persönlichkeit und in sich stimmige Auseinandersetzung mit dem kompositorischen Erbe. Man möchte sich nicht für eine entscheiden müssen, auch wenn man dem offeneren und verspielteren Zugang Tristanos mehr Entwicklungspotential zutraut. So muss es ja aber auch sein im Wandel der Generationen… (wb)

Francesco Tristano: bachCage, Werke von Johann Sebastian Bach (Partita Nr. 1 BWV 825, Vier Duette BWV 802-805, Menuett II aus der französischen Suite Nr. 1 BWV 812), John Cage (In A Landscape, The Seasons, Etude australe Nr.VIII, Book I), Francesco Tristano (Introit, Interludes), Deutsche Grammophon/Universal, Best.-Nr. 0289 476 417-35
Vladimir Ashkenazy: Bach, 6 Partitas. Doppel-CD Decca/Universal, Best.-Nr. 478 2163

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