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Barenboim West-Eastern Divan Orchestra

03.07.2006 — Das West-Eastern Divan Orchestra ist 1999 von Daniel Barenboim und dem 2003 verstorbenen palästinensischen Literaturhistoriker Edward Said gegründet worden und ist in zweifacher Hinsicht ein erstaunliches Ensemble: Zum einen musizieren hier palästinensische, irsaelische, syrische, ägyptische und andere semitische Instrumentalisten einträchtig nebeneinander, zum andern rührt die Begeisterung für das Projekt beileibe nicht bloss von der Tatsache, dass hier – fern aller Sozialromantik – praktische Friedensarbeit betrieben, sondern auch musikalisch Ausserordentliches geleistet wird. Die Dokumentation «Barenboim West-Eastern Divan Orchestra» von Warner Classics bietet auf einer CD und einer DVD mit Filmmaterial einen differenzierten und spannenden Einblick in die Arbeit des Generalmusikdirektors der Berliner Staatsoper und dem enthusiastischen Nachwuchs aus dem Nahen Osten.

Auf der CD findet sich eine Aufnahme eines Konzertes, welches das Orchester 2004 in der Genfer Victoria Hall realisiert hat, mit Tschaikowskys 5.Sinfonie, der Ouvertüre zu Verdis «La forza del destino» und dem Valse Triste von Sibelius. Die Tschaikowsky-Sinfonie und die Verdi-Ouvertüre können von der DVD auch als Filmdokument betrachtet werden. Da stellt man – nebenbei bemerkt – fest, dass sich in dem nahöstlichen Orchester gegen alle Klischees an Horn, Posaune und grosser Trommel Frauen finden. Die Bemerkung sei erlaubt, dass dies in manchen alteuropäischen Orchestern noch keineswegs zur Selbstverständlichkeit gehört…

Auf der DVD findet sich auch der Dokumentarfilm «Lessons in Harmony», den Isabel Iturriagagoitia und Paul Smaczny über die Probenarbeit des Orchesters gedreht haben, unter anderem mit Szenen aus Vorträgen Saids und Barenboims zur politischen Situation im Nahen Osten und einer sensiblen Annäherung an einen gemeinsamen Besuch der deutschen, israelischen und arabischen Orchestermitglieder im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald.

Ebenfalls den Weg auf die DVD gefunden hat ein knapp eineinhalbstündiges Gespräch zwischen Barenboim und Said. Da stellt man sehr schnell fest, dass nicht Gutmenschentum, sondern die Musik und die unbedingte Verpflichtung zur Weltklasse-Qualität beim Musizieren den Kern des Projektes ausmachen. Es sind aber auch interessante Details aus der praktischen Erfahrung der beiden zu entnehmen, etwa die Bemerkung Saids, dass das Orchester beileibe nicht nur eine Konfrontation zwischen Palästinensern und Israelis darstellt, sondern ebenso zwischen libanesischen und israelischen Palästinensern, die sich zum Teil offenbar genauso fremd sind, und die Einsicht, dass es eine Fülle hervorragender musikalischer Talente im arabischen Raum gibt, die allerdings aufgrund staatlicher Gleichgültigkeit kaum zur Entfaltung gelangen können.

In dem Gespräch reihen sich Reflektionen zu dem Besuch der arabischen Studenten in Buchenwald nahtlos an Betrachtungen zum wagnerschen Klangideal. Das Staunen darüber, dass keine einzige Uni im arabischen Raum jüdische Geschichte thematisiert, geht fliessend über in die Frage, ob der Beckmesser der «Meistersinger» eine antisemitische Figur ist (nach Ansicht Barenboims ist dies nicht der Fall), weshalb sich in Beethovens Neunter Anklänge an Militärmusik finden und was die offene Harmonik Wagners mit dem jüdischen Talmud verbindet. Dabei entsteht in keinem Moment der Eindruck von eitlen Causerien oder Salonphilosophie (auch wenn als Ort des Gespräch ironischerweise ein Weimarer Salon dient).

Worum es im West-Eastern Divan Orchestra im Kern geht, illustriert Barenboims amüsante Bemerkung, dass die Musiker ja alle aus dem Orient kämen und er es deshalb als seine Aufgabe ansehe, sie ein wenig zu «desorientieren». Wer viel über den arabisch-israelischen Konflikt, Friedensprojekte in schwierigstem Umfeld, aber auch Überraschendes und Intelligentes zur Musik Beethovens, Wagners und der ägyptischen Sängerin Um Kultsum erfahren will, der ist mit der Warner-Dokumentation wahrlich gut bedient. (wb)

Barenboim West-Eastern Divan Orchestra, Tschaikowskys 5. Sinfonie, Ouverture zu Verdis «La forza del destino», Sibelius: Valse Triste, DVD-Dokumentation mit Dokumentarfilm «Lessons in Harmony», einem Gespräch zwischen Barenboim und Said sowie einer Aufnahme des Genfer Konzertes des Orchesters, Warner Classics 2564 62190-2.

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