09.01.2009 — Anton Bruckner hat offenbar Konjunktur. Mit dem Zürcher Tonhalle-Orchester erarbeitet Bernard Haitink sukzessive dessen Sinfonien − gerade eben war die Reihe an der Achten. Markante Gesamtaufnahmen gibt’s aus früheren Jahren von Günther Wand, Eugen Jochum und Sergiu Celibidache, aus jüngerer Zeit auch von Daniel Barenboim mit den Berliner Philharmonikern, und selbst der «Alte Musik»-Spezialist Nikolaus Harnoncourt hat sich an die Klangkathedralen des österreichischen Tonschöpfers gewagt.
Auf die Schnelle erarbeitet man sich die opulenten Partituren aber weder als Orchester noch als Dirigent. Langjährige gemeinsame Arbeit ist die beste Voraussetzung dazu, und die ist vor allem mit residenten Stadt- und Rundfunkorchestern realisierbar. Diese kontinuierliche Arbeit leistet zur Zeit in Aachen der 1969 geborene Dirigent Marcus Bosch, der sich mit dem Sinfonieorchester Aachen das sinfonische Werk Bruckners nach und nach erarbeitet. Bereits liegen Mitschnitte von Konzerten mit den Sinfonien 3, 5, 7, 8 und 9 vor, die jüngste dokumentiert Boschs Annäherung an die Vierte, und zwar in der Originalversion aus dem Jahr 1874, eine Aufgabe, der sich Eliahu Inbal 1983 bereits mit dem Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt gestellt hat.
Der Blick auf diese erste Fassung, die Bruckner noch vor der Uraufführung verwarf und überarbeitete, lohne sich, schreibt der Aachener Musikwissenschaftler Kai Wessler im Booklet der CD, weil sie «in der Behandlung des Orchesters deutlich experimenteller ist und innerhalb von oft statischen Klangflächen rhythmisch komplexe und dichte Bewegung» aufweist.
Ebenfalls Bruckner zugewendet hat sich Paavo Järvi mit dem hr Sinfonieorchester, also dem gleichen Klangkörper, der vor 15 Jahren Inbal bei seiner erwähnten Einspielung der Vierten zur Verfügung stand. Er legt zur Zeit beim Label RCA Red Seal eine Aufnahme von Bruckners Siebten vor. Geplant ist aber ebenfalls eine Gesamtaufnahme des gesamten sinfonischen Werks Bruckners. Järvi begründet das Unterfangen gerade mit der Tradition, die das Orchester in Sachen Bruckner hat, und die den deutschen Rundfunk-Orchestern generell eigen ist. So hat Günther Wand seine legendären Aufnahmen unter anderem mit dem Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester und dem NDR Sinfonieorchester realisiert. (wb)
Anton Bruckner: Sinfonie Nr.4 «Romantische», Originalversion von 1874, Sinfonieorchester Aachen, Marcus Bosch (Leitung), 2008 Coviello Classics, COV 30814, Super Audio CD.
Anton Bruckner: Sinfonie Nr.7, hr Sinfonieorchester, Paavo Järvi (Leitung), RCA Red Seal 88697389972, Super Audio CD.