15.12.2006 — Die kanadische Pianistin Janina Fialkowska hat gerade das hinter sich gelassen, was die meisten Musiker als ihren grössten Albtraum bezeichnen würden: Anfang 2002, als sie sich bereits auf eine intensive Konzerttätigkeit in den USA und Europa vorbereitete, eröffnete ihr der Arzt, dass die seltsame Schwellung in ihrem linken Arm keine Folge allzu überanstrengten Musizierens sei, sondern ein Krebsgeschwür, das so schnell wie möglich operativ entfernt werden müsse. Nach der Operation, so der Arzt weiter, werde sie ihren Arm nicht mehr bewegen können und auch kein Gefühl mehr darin haben. Herzlich wenig Trost bedeutete es für die Pianistin, die vor dem Aus ihrer musikalischen Karriere stand, dass ihr in einem erst von einem Schweizer Team einmal durchgeprobten Operationsverfahren ein Rückenmuskel so über die Schulter gezogen werden sollte, dass der Arm mit seiner Hilfe zumindest eingeschränkt wieder nutzbar wäre.
So spielte sie nach dem geglückten Eingriff zunächst mit amerikanischen Orchestern die Konzerte für die linke Hand von Ravel und Prokofiev, die sie für ihre unversehrte rechte umschrieb. Mit intensivem Üben unter grössten Schmerzen gelang es ihr aber überdies, ihre volle Virtuosität wiederzuerlangen und die Konzertätigkeit mit Auftritten in Deutschland und Kanada neu aufzunehmen.
Die kämpferische Klavierspielerin hat aber nicht nur eine ungewöhnliche medizinische Laufbahn hinter sich, sie begibt sich auch in Sachen Repertoire gerne auf ungewohntes und interessantes Parkett: Im August 2004 hat sie mit einem Streichquintett – den Chamber Players of Canada – die zwei Klavierkonzerte des 19-jährigen Frédéric Chopin eingespielt. Die Aufgabe, die dem Orchesterpart als bloss stichwortgebender und den Solopart kolorierenden Zudienerin für das Klavier zukommt, würde eine derartige Adaption im ersten Moment kaum nahelegen. Tatsächlich ist die Version musikgeschichtlich aber interessant: Zu Zeiten Chopins waren die bürgerlichen und adligen Salons das Graviationszentrum des gehobenen Musiklebens und Auftritte des Virtuosen im kleinen Kreis mit entsprechend angepasstem Programm ein wesentlicher Teil der Musikkultur.
So finden sich im Programm einschlägiger Verlage der Zeit denn auch relativ problemlos «Hausmusik»-Ausgaben der chopinschen Klavierkonzerte für Soloinstrument und Streichquintett. Rund ein Vierteljahrhundert nach Chopins Tod wurden solche von Kistner und Breitkopf & Härtel in Leipzig auf den Markt gebracht – in Arrangements von Hofmann und Waldersee. Fialkowska und Julian Armour, der Gründer der Chamber Players of Canada, gingen darüberhinaus hartnäckig der Frage nach, ob sich nicht Dokumente oder Bearbeitungen finden liessen, die beweisen würden, dass Chopin selber die Konzerte in einer solchen Besetzung vorgetragen hat. Auf eine heisse Spur führte sie Armours Vater, der Philosoph Leslie Armour, der in der British Library in London eine Ausgabe des Verlegers Schlesinger aufstöberte, zu der Chopin selber vermutlich (echte Beweise dazu fehlen allerdings) seine Zustimmung gegeben haben dürfte.
Die Aufnahme Fialkowskas und der Chamber Players of Canada zeigt auf der einen Seite die prinzipiellen Probleme einer derartigen Reduktion des Satzes. Die Streicher spielen in orchestralem und nicht kammermusikalischem Duktus und schaffen so ein auffallendes Ungleichgewicht zwischen dem Solopart und der Begleitung. Es zeigt sich dabei unvermeidlicherweise, dass die musikalische Substanz des Orchestersatzes doch eher dürftig ist. In den Partien, in denen sich das Orchester zugunsten des Klaviers auf sekundierende Liegetöne zurücknimmt, wirkt die solistische Besetzung streckenweise gar musikalisch sinnentstellend.
Auf der andern Seite verschafft die CD grosses Hörvergnügen und einen hochinteressanten Eindruck davon, wie im europäischen Salon des 19. Jahrhunderts musiziert worden sein dürfte. Zudem ermöglicht die Reduktion der Pianistin, ihren Part deutlich subtiler zu gestalten als dies in einer Version mit vollem Orchester möglich wäre. Da lassen sich – nicht zuletzt dank der unbestritten hohen Kenner- und Könnerschaft der sympathischen Musikerin – Details und Feinheiten im Klaviersatz entdecken, die ansonsten gerne überspielt werden. (wb)
Frédéric Chopin, Klavierkonzerte Nr.1 und 2, Janina Fialkowska (Klavier), Chamber Players of Canada, Atma Classique ACD 2 2291.