17.11.2006 — Maria Callas ist in mancherlei Hinsicht ein Phänomen. So unbestritten ihre aussergewöhnliche Bedeutung als grosse Sängerin, so interessant ist der Weg, den sie bis an die Spitze des Kulturlebens ihrer Zeit zurückgelegt hat. Entscheidenden Anteil daran hatte ihr Mann Giovanni Battista Meneghini, der sie mit viel Geschick vermarktete und aus dem ursprünglich etwas pummeligen Mädchen eine Stil-Ikone der Nachkriegszeit formte. Die Beziehung der beiden – eine Mischung aus Liebesgeschichte, Schülerin-Lehrer-Verhältnis und Zweckbündnis – handelte sich denn auch den Übernamen «die Firma» ein.
Das letztlich unglückliche Liebesleben der Callas und ihre Rolle als Glamour-Girl der fünfziger Jahre könnten Stoff bieten für unzählige Studien über die Zusammenhänge von Hochkultur, Gesellschaftsleben, wirtschaftliche Macht und Weltpolitik in der Aufbruchstimmung nach dem Zweiten Weltkrieg. Ricci Tajanis Buch «Maria Callas – The Cruise ’59 – Biografie einer Reise» entfaltet dieses Panorama zwischen britischen Politlegenden, monegassischem Adel, bedeutenden Opernhäusern, dem griechisch-türkischen Konflikt um Zypern und Reedersfamilien als ersten Vorreitern einer globalisierten Wirtschaft anhand einer Art Gesellschaftschronik. Es erzählt die auch von der damaligen Klatschpresse genauestens mitverfolgte Episode einer – besser: der – Kreuzfahrt mit der Yacht «Christina», die das Ehepaar Callas, den ehemaligen britischen Premier Winston Churchill und Aristoteles Onassis als Gastgeber sowie eine üppige Entourage von Monte Carlo nach Istanbul und wieder zurück führte.
Das sorgfältig und ansprechend gelayoutete und mit reichem Fotomaterial aus der Zeit versehene Buch – einzig die Bildlegenden geben etwas spärlich und manchmal bloss verwirrlich Auskunft über die Fotos – erzählt eine Chronique scandaleuse. Es zeichnet die Begegnung nach, die letztlich zur inneren Abwendung der Callas von ihrem Mann und zur aufkeimenden Leidenschaft für den Landsmann Onassis führt, der ihr innerlich zwar ebenfalls verfällt, sich später aber nie zur Heirat entschliessen kann. Diesen «Coup» landet nicht die Sängerin, sondern – wie die Geschichte uns lehrt – die Witwe des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy.
Zu dem Prolog einer der grossen Prominenten-Romanzen des 20. Jahrhunderts entwirft Tajanis Buch keineswegs ein tiefblickendes Psychodrama, vielmehr breitet es eine Fülle an teils oberflächlich belanglosen, teils spektakulär anmutenden Details des Gesellschaftslebens an Bord und den Zwischenstation an Land aus, das einem den Eindruck vermittelt, als intimer Zaungast selber an der Reise teilzunehmen. Dass sich Churchill in der Bar Ginetta in Portofino einen Apéritif genehmigt und die Callas auf Capri Schuhe kaufen geht, wird da im gleichen gepflegt-anekdotischen Stil ausgebreitet wie der angesichts der Zypernkrise politisch brisante Besuch des türkischen Ministerpräsidenten an Bord der griechischen «Christina». Über Musik und das musikalische Credo der Callas ist hingegen praktisch nichts zu erfahren.
So ist der Bildband in erster Linie das Dokument einer versunkenen Epoche aus mediterranem Glamour, echten Diven und Wirtschaftsmagnaten, die im sich demokratisierenden Europa eine Zeitlang die Rolle der politisch und gesellschaftlich an Bedeutung verlierenden Königshäuser übernahmen und tatsächlich ein Hauch an Leben auf dem Olymp verströmten – bevor die einbrechende Massenkultur und der Massentourismus dieser Exklusivität ein Ende setzte. (wb)
Ricci Tajani: Maria Callas – The Cruise ’59 – Biografie einer Reise, 176 Seiten, mit zahlreichen Schwarzweissaufnahmen. 2006 Schott Music Mainz, Bestellnummer ED 20009, ISBN 3-7957-0569-X.