08.02.2008 — Er bezeichnete sich als Begründer der Luzerner Musikfestwochen. Wer nach seinem Namen forscht, wird in den Unterlagen des Festivals allerdings nicht (nicht mehr?) fündig. Auf seinem Schloss gab er grossartige Empfänge für die Luzerner Gesellschaft und Künstlerwelt, und er vereinte um sich die Honoratioren der damaligen Zeit − darunter etwa Divisionär Max Waibel, der Jahrzehnte zuvor dank diplomatischem Geschick das Ende des Zweiten Weltkrieges in Italien abgekürzt haben soll, und dem Luzern 2005 dafür eine Ehrentafel gespendet hat (Waibels tatsächlicher Verdienst um das Kriegsende ist unter Historikern umstritten, aber das ist eine andere Geschichte). Für Ernst Brunner, den Privatbankier mit Konzertagentur, um den es hier geht, ist nirgendwo eine Ehrentafel in eine Mauer geschraubt worden. Schliesslich − ältere Luzerner dürften sich erinnern − zeichnete er 1971 für einen Bankrott verantwortlich, der zahlreiche ehrbare Bürger der Stadt mit in den Strudel happiger finanzieller Verluste riss. Seinem Leben hat er selber ein Ende gesetzt, genauso wie kurz darauf Waibel (im Hörspiel trägt er den Namen Welti), welcher der Bank Brunners als gesellschaftliches Aushängeschild gedient hatte.
Die Geschichte − konzentriert auf die letzten Stunden im Leben Brunners (der hier Binder heisst) und die juristische Bestandesaufnahme nach den dramatischen Ereignissen rund um sein Ableben − erzählt in dem Hörspiel «Blauensee» seine Stieftochter Eva Brunner. Sie unternimmt eine sehr intime und behutsame Annährung, die viele Fragen offen lässt, insbesondere keine Erklärungen zu den Motiven Brunners für seine verwinkelten Geschäfte liefert und dennoch viel von der Atmosphäre der Zeit einzufangen versteht.
Nachdem Binder nach einer Theateraufführung spontan wieder einmal Gott und die Welt zu einem Fest auf sein Schloss geladen hat, zieht er sich nach reichlichem Alkoholkonsum in die oberen Gemächer zurück, wo er kollabiert. So scheidet er kurz vor einer Sonderprüfung seines Firmenkonglomerates aus der Welt. Die Prüfung zeigt in der Folge, dass der grösste Schuldner seiner Bank eine eigene Firma mit Interessen in Osteuropa gewesen ist, die wegen der zunehmenden Isolation der kommunistischen Welt kaum mehr Geschäfte tätigte. Zudem hatte Binder zahlreiche Freunde davon überzeugt, für ihn bei seiner eigenen Bank Scheinkredite aufzunehmen, um die Illusion voller Kassen aufrechterhalten zu können.
Über ein ebenfalls eigenes Treuhandunternehmen hatte er sich überdies Geld geborgt und die Kreditoren im Glauben gelassen, sie deponierten das Geld bei der Bank. Ein überraschender Anruf eines zwielichtigen Doktors aus Prag klärt die Witwe schliesslich darüber auf, dass Binder keineswegs eines natürlichen Todes gestorben ist, sondern Gift geschluckt hat. Welti schliesslich reitet in Galauniform in den Wald, um seinem Leben standesgemäss mit der Waffe ein Ende zu setzen.
Einiges zur Lebendigkeit des Berichtes tragen bestens bekannte Schweizer Schauspielerinnen und Schauspieler als Sprecher bei, unter ihnen Desirée Meiser, Hanspeter Müller-Drossaart, Gilles Tschudi und Daniel Ludwig, ja selbst der Kabarettist Emil ist zu hören. Er spielt in einem kurzen Auftritt sich selber. Regie bei dem Hörspiel hat Fritz Zaugg geführt, die Musik − Improvisationen und Ausschnitte aus Schumanns Kinderszenen, steuert der Pianist Christoph Stiefel bei. Produziert worden ist das Hörspiel, das im Christoph Merian Verlag erschienen ist, vom Schweizer Radio DRS. (wb)
Eva Brunner: Blauensee. Ein wahres Märchen mit fatalen Folgen, Radio DRS-Hörbuch, Christoph Merian Verlag, ISBN 978-3-85616-342-6. www.merianverlag.ch