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Film und Walzerseligkeit – ein Traumpaar

07.03.2008 — Idylle, eine Spur Dekadenz, jede Menge Nostalgie; das grosse Schwelgen, die erträgliche Leichtigkeit des Seins; jugendliche Schwärmerei, morbider Charme − in all der Vielfalt seiner Facetten entzieht sich der Walzer auf irritierende Art dem ästhetischen Werturteil: Ist er oberflächlich? subtil? dekadent? untergründig? kitischig? Sicher findet sich seine Seele nicht in Konstruktionsprinzipien und formaler Strenge, sondern im Sinnlichen und Ornamentalen, und in der verwirrenden Tatsache, dass er sowohl als Verkörperung bürgerlicher Wohlanständigkeit als auch halbseidener Verführungskünste dienen kann. Da erstaunt es kaum, dass er sich in der Requisitenkammer der Filmmusik seinen festen Platz erobert hat: Von der Schmonzette bis zum Mafia-Epos profitieren sie alle von den Abgründen, die sich hinter der scheinbar harmlosen Oberflächlichkeit des Dreitaktes öffnen können.

Da gibt es Filme, für die der Walzer hätte erfunden werden müssen, hätte es ihn nicht schon gegeben, etwa «Die Fabelhafte Welt der Amelie» oder Fellinis «La Strada», die bezeichnenderweise beide weibliche Sehnsuchtswelten zum Thema haben. Und es gibt solche, die ihn wie Russ Meyers Trash-Klassiker «Supervixens» als harten Kontrast zu desillusionierter Fleischlichkeit miss(?)brauchen. In Schlöndorffs «Blechtrommel» wiederum bringt der kleinwüchsige Oskar Matzerath mit dem Dreitakt die faschistische Welt der Kriegstreiber aus den Fugen.

Keiner dieser Filme ist auf dem SonyBMG-Album «Die besten Filmklassiker» porträtiert, wohl aber Stanley Kubricks «2001 − A Space Odyssey», der mit seinen genialen walzertanzenden Raumschiffen im Weltall Filmmusik-Geschichte geschrieben hat. Auch in «Eyes Wide Shut» nutzt Kubrick die Hintergründigkeit des Dreitakt-Tanzes (mit Schostakowitschs Walzer aus der Jazz-Suite Nr. 2). Tolstois grosses Epos «Krieg und Frieden» wird sowohl in der Version als aktueller TV-Mehrteiler (Katschaturians Maskerade-Walzer) als auch in der Schwarzweiss-Version von 1956 (Chopins Grande Valse Brillante) mit Walzern unterlegt.

Aber auch gesungen wird auf der Kompilation, und zwar von Rudolf Schock und Margrit Schramm, die in den Filmen «Zwei Herzen im Dreivierteltakt» und «Der letzte Walzer» die Welt der Operette mit ihrer erstaunlichen Fähigkeit zur Realitätsverweigerung beschwören.

Henry Mancinis «Moon River» hingegen steht im Film «Frühstück bei Tiffany» für die Frauenfantasien, die schon Gelsomina aus «La Strada» und später Amelie umtreiben. Eine ganz eigene Facette steuert auf «Die besten Filmwalzer» zum ironischen Schluss Konstantin Wecker mit seinem Schickeria-Walzer aus dem Streifen «Kir Royal» bei. (wb)

Die besten Filmwalzer. Die berühmten Walzer aus Krieg und Frieden, Eyes Wide Shut, 2001 – Odyssee im Weltraum, Frühstück bei Tiffany, die Schöne und das Biest, Opernball, Kir Royal u.a., RCA Red Seal, 2008 sony BMG Music Entertainment, 88697 07909 2

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