04.10.2008 — José Cura ist ein Reisender in Sachen Gesang, wie so viele seiner Kollegen. Er gehört zu den Gefragten seines Faches, in den neunziger Jahren debütierte der gebürtige Argentinier in den grossen europäischen Opernzentren: in Verona (1992) − wo er zeitweise auch Wonhsitz hatte − Turin, Martina Franca, London, Torre del Lago, Paris… 1999 sang der Tenor erstmals an der New Yorker Met. Auch das Zürcher Publikum wird ihn wieder zu hören bekommen: 2009 gibt er im Mai viermal den Calaf aus Puccinis «Turandot», im Juli Don José in Bizets «Carmen». Und obwohl er glücklich verheiratet ist (er sei, zitiert er Will Rogers, gar kein richtiger Star, er lebe nach vielen Jahren nämlich noch immer mit der gleichen Frau zusammen) und drei Kinder hat, zwingt ihn die ausgedehnte berufliche Reisetätigkeit zu schmerzhafter Einsamkeit.
Um die sozialen Durststrecken durchzustehen, kaufte er sich 1994 in Verona einen billigen, gebrauchten und nicht mehr ganz heilen Fotoapparat, Marke Yashica. Mit zusammengeklaubten Ersatzteilen und Superkleber machte er diesen wieder einsatzfähig. Die Yashica erlaubt es ihm, als «ständig Beobachteter» selber zum Beobachter seiner wechselnden Umgebung zu werden. Und obwohl er sich heute teures Equipment leisten könne, meint er, greife er für authentische Momente nach wie vor gerne zu seiner ersten Erwerbung.
Als «einsamer Nomade», zu dem er im internationalen Opernbetrieb zwangsläufig geworden ist, hat er begonnen, seine freien Stunden mit dem «Einfangen der Momente» zu verbringen, in denen zu Verweilen ihm nicht vergönnt ist. Sein Blick richtet sich dabei in erster Linie auf die andere Seite einer Gesellschaft, von der er in den Musentempeln der Welt vor allem die glamouröse und habliche kennt.
Ein Reihe der so entstandenen Fotografien ist unter dem Titel «espontáneas» im Zürcher Kunstverlag Scheidegger & Spiess erschienen. Das Buch hebt sich überaus wohltuend von der sonst im Umfeld von Opernhäusern gepflegten poliert-künstlichen Lifestyle- und Glamour-Ästhetik ab. In gänzlich unprätentiöser Art porträtiert Cura vorzugsweise Menschen am Rande grosstädtischer Geschäftigkeit − Obdachlose, Strassenmusiker, aber auch körperlich hart arbeitende Arbeiter und Sportler. Er tut dies in überaus berührender Weise, mit warmherzigem Blick und tiefem Respekt für die Würde derer, dessen Wege sich zufällig mit den seinen kreuzen.
Der Band endet mit poetisch-unbeschwerten Kinderszenen − als Zeichen der Hoffnung und des Aufbruchs. Eingeleitet wird das letzte Kapitel unter anderem mit einem Zitat des indischen Philosophen Radindranath Tagore: «Jedes Kind überbringt die Botschaft, dass Gott die Hoffnung in die Menschheit noch nicht aufgegeben hat». (wb)
José Cura: espontáneas. Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich 2008. ISBN 978-3-85881-193-6, Bezugsnachweis: www.scheidegger-spiess.ch