30.11.2007 — Rap und Klassik? Nichts scheint ästhetisch, soziologisch und ideell weiter voneinander entfernt. Die beiden Stile zwischen etablierter bildungsbürgerlicher Innerlichkeit und rotzfrecher jugendlicher Subkultur sind sozusagen natürliche Feinde. Und um es gleich vorwegzunehmen: Den Widerspruch vermag auch die Scherbe «Jenseits der Norm − Klassik trifft HipHop» der deutschen Rapper Einshoch6 und des Münchner Rundfunkorchesters nicht aufzulösen. Interessant ist der Versuch dennoch. Für musikalische Geschlossenheit des Joint-ventures wird über den Umweg von Filmmusiktechniken gesorgt. Diese haben das Ohr an die wildesten Stilmixe und Kontraste gewöhnt, und so schaffen sie sogar den Brückenschlag von Mozart und zornigem Sprechgesang. Die Arrangements der Lieder − sie stammen vom Filmmusikkomponisten Marco Hertenstein − inspirieren sich an Ohrwürmern der populären Klassik wie der beiden g-Moll-Sinfonien von Mozart, Strauss‘ «Also sprach Zarathustra» oder Elgars «Imperial March». Das Rundfunkorchester unter der Leitung von Jac van Steen steuert überdies den ersten Satz aus der g-Moll-Sinfonie KV 183 und ein grösseres Exzerpt aus der Don-Giovanni-Ouvertüre bei. Daneben sorgen routinierte Studiomusiker für die «amtlichen» Grooves zu den Wortkaskaden der rappenden Reimkünstler. Das Resultat: ein über weite Strecken stimmiger, atmosphärisch dichter Soundtrack.
Die Texte durchzieht unüberhörbar ein didaktischer Unterton. Heranwachsenden werden etwas kumpelhaft die Gefahren von Jointrauchen, Rumhängen und Selbstmitleid geschildert. «Man darf sich nicht beschweren / wenn es nicht weitergeht / man kommt nicht voran / wenn sich keiner bewegt» heisst es da etwa, oder «Leb deinen Traum / zweifle nicht an dir / du musst es nur probieren / gib nicht auf / und bleib dran …» und so weiter. Das ist die Art von wohlerzogener Popmusik, wie sie an einschlägigen Popakademien in Deutschland und Grossbritannien gepflegt wird. Da blähen nicht wütende Gettokinder ihre Egos auf. Vielmehr nagt wohlbehüteter Nachwuchs am protesantisch geknickten Selbstwertgefühl. Das kulminiert in dem beinahe schon klassischen Kabarett-Couplet «…Sind wir nicht alle ein bisschen Loser». Hie und da eingestreute Four-Letter-Words wirken da eher etwas aufgesetzt.
Bei der Art von mehrheitstauglicher und sozialpädagogisch wertvoller Arbeit am Reim erstaunt es nicht, dass die Gruppe im Auftrag der Bundesregierung als musikalische Botschafterin Deutschlands in Europa unterwegs ist: Mit der Europäischen Ensembleakademie des Deutschen Musikrats, einem zeitgenössischen Ensemble, einer slowenischen Hardrock-Gruppe und einer portugiesischen Fado-Sängerin zelebriert sie auf der Bühne multikulturelle Aufbruchstimmung. Nun ja, man könnte sich dümmere Beschäftigungen vorstellen. Rumhängen und Jointrauchen zum Beispiel. (wb)
Einshoch6 mit dem Münchner Rundfunkorchester: Jenseits der Norm − Klassik trifft HipHop, scaper records SPV 330542 CD, www.einshoch6.de