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Maria João Pires und der späte Chopin

29.05.2009 — Kann man mit Blick auf Chopins späte Werke von einem Alterswerk sprechen? Die portugiesische Pianistin Maria João Pires, die sich immer wieder mit den Charakterstücken des polnischen Nationalkomponisten beschäftigt, ist davon überzeugt. Nachdem sie 1996 mit einer Gesamtaufnahme seiner Nocturnes Aufsehen erregt (und etliche Preise erhalten) hat, legt sie nun eine sorgfältig zusammengestellte Auswahl der nach 1844 entstandenen Sonaten, Nocturnes, Mazurkas und Walzer vor (Chopin starb 1849). Die gewichtigsten Anteile haben dabei die h-Moll-Sonate op. 58, die Polonaise-Fantaisie in As-Dur op. 61 und die Cellosonate g-Moll op. 65, für die sich der kongeniale Cellist Pavel Gomziakov zur Pianistin gesellt. Die Doppel-CD endet konsequenterweise mit der Mazurka f-Moll op. 68 Nr.4, Chopins letzter Komposition.

Zwischen dem Album mit den Nocturnes und dem nun vorliegenden hat sich in Maria João Pires‘ Leben einiges bewegt. Sie hat in Portugal ihr Centro de Artes de Belgais begründet und sich dabei im Streit mit den portugiesischen Behörden aufgerieben, denen sie mangelnde Unterstützung ihres humanistischen Engagements vorgeworfen hat.

Die Aufregungen haben – wie sie einem französischen Fachmagazin verraten hat – schliesslich dazu geführt, dass sie sich einer Herzoperation unterziehen musste. Die CD ist unter anderem spanischen Ärzten und der Herzabteilung des Universitätsspitals von Salamanca gewidmet. Man kann also davon ausgehen, dass die Pianistin damit eigene Erfahrungen von Todesnähe und Älterwerden verarbeitet.

Maria João Pires‘ Chopin ist zugleich von hoher Klarheit und tiefer Melancholie, in den feinsten Details ausgehorcht, mit gelegentlichen künstlerischen Freiheiten in der Interpretation von Tempo- und Dynamik-Anweisungen, die aber immer faszinierende Facetten dieser hoch expressiven Klaviersätze offenbaren – bis hin zu Partien in der letzten Mazurka, welche die Chromatik von Wagners «Tristan und Isolde» vorwegzunehmen scheinen und welche die Pianistin mit grosser Schlichtheit als nüchternen Abgesang auf ein Künstlerleben zu einem bewegenden Schlusswort werden lässt.

Man kann dieses Chopin-Album, das Mitte 2008 im holländischen Hilversum eingespielt worden ist, guten Gewissens als eine Sternstunde der gegenwärtigen CD-Veröffentlichungen bezeichnen, eine Arbeit, die von vollendeter ästhetischer Könnerschaft, künstlerischer Ernsthaftigkeit und atemraubend souveräner Beherrschung des Instrumentes zeugt. (wb)

Maria João Pires und Pavel Gomziakov sind dieser Tage in der Schweiz zu hören, und zwar am 5. Juni in der Zürcher Tonhalle und am 7. Juni im Zentrum Paul Klee in Bern.

Maria João Pires: Chopin. Mit Pavel Gomziakov (Cello). Doppel-CD, Deutsche Grammophon 477 7483.

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