10.08.2007 — Abgrundtiefes Grauen – getarnt als idyllische Harmlosigkeit: Was absurd anmutet, umschreibt die Funktion des Konzentrationslagers Theresienstadt rund 60 Kilometer nördlich von Prag. «Terezín», so der Originalname, diente den Nazis einerseits als Durchgangslager zu den Vernichtungsstätten ihrer Todesmaschinerie, andererseits als Kulisse für eine unverfrorene Propagandakampagne, mit der die Existenz der «Endlösung» verneint werden sollte. Da wurden Künstler wie Pavel Haas, Gideon Klein, Hans Krása und Viktor Ullmann zusammengetrieben, um der Weltöffentlichkeit eine kulturelle Farce vorzuspielen.
Cafés wurden eingerichtet, Kabaretts organisiert und die Kinderoper «Brundibár» des tschechischen Komponisten Hans Krása wurde einstudiert und aufgeführt, während das Rote Kreuz dem Ort einen Besuch abstattete, und 1944 liessen die Nazis den verharmlosenden Streifen «Theresienstadt – Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet» drehen, ein Machwerk, nach dessen Vollendung die meisten Schauspieler und auch der Filmemacher selbst nach Auschwitz deportiert wurden.
Um die musikalischen Zeugen aus dem Ghetto kümmert sich heute die im amerikanischen Boston beheimatete Terezin Chamber Music Foundation (www.terezinmusic.org), welche die entsprechenden Dokumente sammelt, wissenschaftlich aufarbeitet und dafür sorgt, dass sie in Form von Konzerten und Aufnahmen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
In einem solchen Rahmen wurde auch die schwedische Sängerin Anne Sofie von Otter im Jahr 2000 an einem internationalen Holcaust-Kongress in Stockholm angefragt, ob sie nicht bereit wäre, eine Auswahl an Theresienstadt-Liedern vorzutragen – unter anderem Kompositionen von Viktor Ullmann und Zikmund Schul. Tief beeindruckt von dem Material und seiner Geschichte setzte sie sich in der Folge mit Marion Thiem von der Deutschen Grammophon zusammen, um schliesslich auch noch die CD «Terezín Theresienstadt» zu realisieren.
Neben von Otter stellten weitere Grössen des Musiklebens sich in den Dienst des überaus berührenden Gedenkalbums, mit in schlichter und berührender Art vorgetragenen Liedern und Kabarettnummern. So leiht auch der Bariton Christian Gerhaher den Zeugnissen seine Stimme, gestützt werden die beiden von Bengt Forsberg am Klavier, sowie Bebe Risenfors (Bass, Akkordeon, Gitarre), Gerold Huber (Klavier), Ib Hausmann (Klarinette), Philip Dukes (Bratsche) und Josephine Knight (Cello).
Noch fast absurder als das propagandistische Terezín-Theater der Nazis mutet der melancholisch-leise und entspannte, fast zärtliche Grundton an, der den Nummern eigen ist, so als ob hier verträumte, schwärmerische Jugendliche ihr ganzes Leben noch vor sich hätten. Nur steht neben beinahe allen Namen das Todesdatum 1944 oder 1945 – so im Falle Ilse Webers, Karel Švenks, Adolf Strauss’, Carlo Sigmund Taubes, Viktor Ullmanns, Pavel Haas’ und Hans Krásas. Die letzteren drei wurden am 15. Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert und noch an ihrem Ankunftstag vergast. Einzig der Jazzpianist Martin Roman überlebte das Grauen. Er starb 1996.
Der Abschluss der CD lässt ahnen, dass in Theresienstadt und anderen Konzentrationslagern der Nazis nicht nur unsägliches menschliches Leid gschaffen wurde, sondern dass da viel künstlerisches Potential mutwillig abgewürgt worden ist: Der Geiger Daniel Hope interpretiert eine skurril-wilde Solosonate für Geige, die der im bayerischen Konzentrationslager Wülzburg zu Tode gekommene Erwin Schulhoff bereits 1927 geschrieben hat. (wb)
Terezín Theresienstadt, Anne Sofie von Otter, Bengt Forsberg, Christian Gerhaher, Daniel Hope, Deutsche Grammophon CD 477 6546.