23.01.2009 — Am 3. Februar 1809 erblickte Felix Mendelssohn in Hamburg das Licht der Welt, das heisst, die Musikwelt feiert heuer seinen 200. Geburtstag. Sein e-Moll-Violinkonzert ist 1845 in Leipzig durch das Gewandhausorchester und dessen Konzertmeister Ferdinand David als Solisten uraufgeführt worden. Die Reverenz der Geigerin Anne-Sophie Mutter an den Komponisten − eine Einspielung des populären Konzertes mit dem heutigen Gewandhausorchester unter der Leitung von Kurt Masur ist demnach naheliegend.
Kombiniert wird die Einspielung einerseits mit der F-Dur-Violinsonate Mendelssohns aus dem Jahr 1838, die der Tonschöpfer ebenfalls für Ferdinand David geschrieben hat. Irgendwie sollte die Sonate, mit deren ersten Fassung weder Komponist noch Interpret ganz zufrieden waren, aber nie richtig zu Ende gebracht werden. Den ersten Satz hat Mendelssohn zwar revidiert, das Projekt dann aber liegengelassen. 1953 erstellte Yehudi Menuhin einen editorischen Vorschlag, nach dem sich auf dieser Aufnahme auch Anne-Sophie Mutter richtet. (Ob das wohl Zufall ist, dass da alles Wunderkinder am Werk sind? Sowohl Mendelssohn als auch Menuhin und Mutter feierten ja bereits sehr früh spektakuläre Erfolge.) Begleitet wird Mutter dabei von ihrem Ex-Ehemann André Previn.
Andererseits findet sich auf der Silberscheibe das erste Klaviertrio op.49, für dessen Wiedergabe sich zu Mutter und Previn noch der Cellist Lynn Harrell gesellt. Die Aufnahmen zu den Kammermusikwerken sind im September 2008 im Brahms-Saal des Wiener Musikvereins realisiert worden.
Was erwartet den Hörer oder die Hörerin hier? Anne-Sophie Mutter ist mit ihrem Interpretationsstil etwas an den Rand des Klassikbetriebes gedrängt worden. Im Überangebot an Produktionen, dem man sich heute gegenübersieht, erregen kantige oder ungewöhnliche ästhetische Wege mehr Aufmerksamkeit. Die Geigerin hat sich diesen Entwicklungen eher verweigert, was ihre Interpretationen etwas gesichtslos machen mag. So wurde etwa ihre Bachinterpretation auf der CD, auf der sie auch Gubaidulinas jüngstes Violinkonzert vorgelegt hat (siehe unten), nicht ganz zu unrecht als allzu beliebig kritisiert.
Auch ihr Mendelssohn fällt nicht durch eine ungewöhnliche oder sperrige Herangehensweise auf. Er bewegt sich aber auf hohem musikantischem und spieltechnischem Niveau und setzt, wenn man so will, die Messlatte aus dem Geist des Mainstreams der Karajan-Ära für alle Versuche, in dieser Musik mehr entdecken zu wollen, als es klassischer Ausgewogenheit bislang gelungen ist. Ob man das Fehlen von Ecken und Kanten in Mutters Spiel in der jungmädchenhaften grafischen Gestaltung der CD noch unterstreichen muss, soll hier aber mal offen gelassen werden.
Ein Projekt wie Mutters Mendelssohn-Reverenz realisiert man nicht, ohne es auch für den Konzertsaal zu nutzen. Es lohnt sich deshalb, auch einen Blick in die Agenda der Geigerin zu werfen, denn auch da trifft sie sich mit dem kompositorischen Geburtstagskind: Reisende Virtuosen verfügen offensichtlich über eine erhebliche Kondition.
Unmittelbar nach Mendelssohns Geburtstag (vom 4. bis 6. Februar) spielt Mutter das Konzert in New York. Mit von der Partie ist dabei auch Kurt Masur, der die New York Philharmonic leitet. Im Februar spielt sie es überdies zweimal in Montreal − mit dem Orchestre Symphonique de Montreal unter der Leitung von Rafael Frühbeck de Burgos. Einen kleinen Abstecher gibt’s im Februar nach San Francisco, wo sie unter der Leitung von Michael Tilson Thomas und mit der San Francisco Symphony neben dem Mendelssohn-Werk auch Gubaidulinas «In tempus praesens» (siehe Codex-flores-Rezension) zu Gehör bringt.
Das Duo Mutter/Masur trifft sich in der Folge wieder, um das Konzert im März mit dem Gewandhausorchester in Leipzig und mit den Dresdner Philharmonikern im Mai und Juni auch in Dresden und Prag aufzuführen. Die Oslo Philharmonic unter der Leitung von Jukka-Pekka Saraste wiederum begleiten Mutter im Mai auf einer ausgedehnten Europa-Tournee mit Stationen in Oslo, Baden-Baden, Wien, Paris, London, Berlin, Hamburg, Köln und Düsseldorf.
Daneben bestreitet Mutter zusammen mit Previn und Harrell in Deutschland, der Türkei und den USA Auftritte mit Mendelssohns Klaviertrio Nr. 1, Mozarts Klaviertrio Nr. 4 sowie Previns zweitem Trio, das die drei in der Carnegie Hall uraufführen.
Bei einem derart dichten Programm erstaunt es nicht, dass die Geigerin im zweiten Halbjahr 2009 eine Auszeit nimmt. Konzertiert wird dann wieder ab Januar 2010. (wb)
Anne Sophie Mutter: Mendelssohn, Violinkonzert e-Moll op.64, Klaviertrio Nr.1 op.49, Violinsonate F-Dur (1838). Gewandhausorchester Leipzig, Kurt Masur (Leitung), Anne Sophie Mutter (Violine), André Previn (Klavier), Lynn Harrell (Cello). CD und DVD, Deutsche Grammophon 2009. Best.Nr. 00289 477 8001