Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

Suite aus «Lady Macbeth von Mzensk»

30.06.2007 — Wohl kaum ein Werk hat das Schicksal des russischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch derart beeinflusst wie die Oper «Lady Macbeth von Mzensk». Sie bot 1936 den Anlass für den berüchtigten, vermutlich von Stalin veranlassten Artikel in der Parteizeitung «Prawda», in dem Schostakowitsch «linksradikale Zügellosigkeit», «kleinbürgerliches Neuerertum» und – am schlimmsten – «Formalismus» vorgeworfen wurde. Von diesem Moment an schlief Schostakowitsch in ständiger Angst vor einer Deportation mit einem kleinen Koffer unter dem Bett. Erst Ende der fünfziger Jahre konnte sich der Tonschöpfer des Respektes und der Anerkennung von offizieller Seite wieder sicher sein.

In der Oper reisst die untreue und von ihrem Liebhaber wiederum selber betrogene Katerina Ismailowa zuerst ihren Schwiegervater und später sich selber und die Nebenbuhlerin in den Tod. Die tragische Geschichte wird von Zwischenspielen formal geklammert, die weit mehr sind als bloss harmlose atmosphärische Einstimmung des Publikums.

Drei dieser Charakterstücke für Orchester hat Schostakowitsch vermutlich bereits kurz nach Vollendung des Bühnenwerkes umarrangiert und zu einer Suite zusammengestellt. Das Opus 29a dürfte in der Zeit des politischen Bannes allerdings auch kaum je zur Aufführung gelangt sein.

Auf Tonträger ist es bislang nie eingespielt worden. Dieses Verdienst kommt dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter der Leitung des in Bern als Chefdirigenten amtenden Andrey Boreyko zu. Was nun auf den Markt kommt, ist die Aufnahme eines Konzertes, welches das Orchester im Juni 2005 in der Stuttgarter Liederhalle realisiert hat.

Die Erstaufnahme ist verdienstvoll, dennoch übernimmt sie auf der Silberscheibe mit ihrer Dauer von gut sieben Minuten bloss die Funktion eines Epiloges zum Hauptwerk, der über eine Stunde in Anspruch nehmenden vierten Sinfonie ihres Schöpfers, die in der gleichen Zeit entstanden ist wie die Oper und deshalb ein ähnliches Schicksal erfahren hat.

Mit dem Werk, das eine Synthese aus russischer Avantgarde und mahlerschem Formdenken wagt, hat sich Schostakowitsch ästhetisch weit aus dem Fenster gelehnt – so dass nach dem «Prawda»-Artikel an eine Aufführung nicht mehr zu denken war.

Erst die weit mildere und volkstümliche fünfte Sinfonie erlaubte eine weitere Präsenz im kommunistischen Heimatland. Die Vierte konnte erst am 30. Dezember 1961 zur Uraufführung gebracht werden. Sie wurde von den russischen Musikliebhabern dafür umso stürmischer beklatscht.

Das erstklassige, von seinem ehemaligen Chef Roger Norrington klanglich in Hochform gebrachte Stuttgarter Orchester leuchtet die Partitur auch in den Extremen aus und liefert eine spannungsreiche, vitale und differenzierte Wiedergabe beider Werke. (wb)

Dmitri Schostakowitsch: Symphony Nr. 4, Suite from the Opera «Lady Macbeth of Mzensk» (World Premiere Recording), Radio-Sinfonieorcheser Stuttgart des SWR, Andrey Boreyko (Conductor), Hänssler Classic, CD 93.193.

Schreibe einen Kommentar