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Thibaudet und das Berner Symphonieorchester

18.10.2014 — Den Auftakt macht eine Friedensbotschaft, den Abschluss macht auch eine Friedensbotschaft. Die erste mutet recht hermetisch an, die zweite emphatisch. Klaus Hubers «Beati Pauperes II» verarbeitet Vokalmusik von Orlando di Lasso mit Texten aus der Bibel und des zur Zeit der Entstehung des Werkes auch hierzulande sehr populären nicaraguanischen Befreiungstheologen Ernesto Cardenal. Arthur Honeggers dritte Sinfonie, die «Symphonie liturgique» schliesst ab mit der Bitte «Dona nobis pacem», Herr, gib uns den Frieden. Wir sind im 2. Symphoniekonzert des Berner Symphonieorchesters.

18.10.2014 — Den Auftakt macht eine Friedensbotschaft, den Abschluss macht auch eine Friedensbotschaft. Die erste mutet recht hermetisch an, die zweite emphatisch. Klaus Hubers «Beati Pauperes II» verarbeitet Vokalmusik von Orlando di Lasso mit Texten aus der Bibel und des zur Zeit der Entstehung des Werkes auch hierzulande sehr populären nicaraguanischen Befreiungstheologen Ernesto Cardenal. Arthur Honeggers dritte Sinfonie, die «Symphonie liturgique» schliesst ab mit der Bitte «Dona nobis pacem», Herr, gib uns den Frieden. Wir sind im 2. Symphoniekonzert des Berner Symphonieorchesters.

 

Die beiden Eckpunkte ‒ paradigmatisch dafür, wie sehr die europäische Kunstmusik des 20. Jahrhunderts mit Werten aufgeladen war, und welche gesellschaftsethische Strenge sie austrahlte. Heute hören wir diese Werke anders, ihre musikalischen Qualitäten treten in den Vordergrund, und selbst eine rein akustische Klang- und Texturkomposition wie diejenige Hubers (hier mit einem Vokalseptett, einstudiert von Zsolt Czentner) scheint uns nach all den elektronischen Klängen, die uns aus zeitgenössischen Filmmusiken, Electropop, Raves und anderem vertraut geworden sind, emotional les- und erlebbar geworden.

 

Mario Venzago, der Chefdirigent des Berner Symphonieorchesters (BSO), ist als Mensch empathisch, bedankt sich nach dem Konzert am Ausgang mit Händedruck bei jedem einzelnen der Musiker und strahlt eine einnehmende priesterlich-versöhnliche Wärme aus, wenn er sich ans Publikum wendet, um ihm einen Zugang zu den für viele ungewohnten Klangwelten zu öffnen. Als Interpret hingegen kultiviert er einen transparenten, hochpräzisen, ja seismografischen Klang, der nicht emotional übewältigen, sondern sinnlich zugleich auf Distanz halten und verführen will. In der Werkwahl seiner Berner Programme, die auch einen Akzent auf exzellente Schweizer Werke ‒ speziell mit Berner Bezug ‒ legt, und der dezidiert textkritischen Art des Umgang mit dem Notentexten, hat er dem Klangkörper der Bundesstadt in der Zeit seines dortigen Wirkens mittlerweile ein starkes eigenes Profil gegeben.

 

Typisch etwa der Tausch der Werke für das zweite Symphoniekonzert dieser Saison, in dem neben Hubers Werk und dem fünften Klavierkonzert von Camille Saint-Saëns eigentlich Vincent d’Indys zweite Sinfonie vorgesehen war. Venzago hat das Notenmaterial vor einigen Jahren für Aufführungen in Leipzig aufbereitet, die Noten sind in Deutschland allerdings nicht mehr auffindbar, ausser in Fotokopien der Einzelstimmen, aus denen die Partitur mühsam rekonstruiert werden müsste, und dazu hat der Dirigent, wie er entschuldigend erklärt, die Zeit schlicht nicht gehabt.

 

Dank CD-Projekten, unter anderem der Einspielung von Schoeck-Orchesterwerken auf dem Migros-Kulturprozent-Label Musiques Suisses, hat Venzago die Werke Hubers und Saint-Saëns mit Othmar Schoecks Streicher-Intermezzo «Sommernacht» op. 58  ‒ seinerzeit ein Auftragswerk des Berner Symphonieorchesters und in der Gesamtausgabe vorgelegt vom Berner Musikwissenschaftler Victor Ravizza ‒ und Honeggers dritter Sinfonie kombiniert, ohne dass die zu erwartenden leeren Plätze im Saal zur finanziellen Kraftprobe geführt hätten.

 

Als Solist in Saint-Saëns‘ Konzert amtet der französische Hypervirtuose Jean-Yves Thibaudet, ein idealer Interpret für die Musik der französischen Moderne und ein exzellenter Partner für das BSO, eine Kombination,die kaum Wünsche offenlässt, in aller pulsierenden Souveränität atmosphärische Dichte schafft und höchstens in den Pianissimi noch mehr Potential hätte. Thibaudet scheint im Leisen nie unter eine Art Thibaudet-Wirkungsquantum sinken zu wollen, so dass der Dynmamikumfang (möglicherweise abgeschliffen in grösseren Hallen) eingeschränkter ist, als er im Berner Kultur-Casino sein müsste. Thibaudet bedankt sich für den warmen Applaus mit Liszts dritter Consolation, einer nach dem Saint-Saëns-Exploit geradezu antivirtuos anmutenden Zugabe.   

 

Dass das Orchester selber allerdings auch in den Nebelkammern des kaum noch Hörbaren zu operieren versteht, zeigt es im Ausklang des Schoeck-Intermezzos, das tatsächlich im vorgeschriebenen vierfachen Piano versinkt, ohne dass der Streicherklang an Spannkraft und Intensität verlöre. Die «Sommernacht» zeigt überhaupt, wie alleine die Streicher des BSO sich unter Venzago entwickelt haben. Wie glasklar und sicher, auch in höchsten Höhen, wie seismografisch präzise in den Klangnuancen da musiziert wird, ist packend. Bloss in den verstreuten Zweiundreissigstel-Melismen des Schoeck-Satzes scheinen sich ab und an musikalisch keineswegs sinnwidrige Pauschalisierungen einzuschleichen. Schoecks Klangkomos aus fraktalen Divisi, Handharmonika-Ländlern aus der Ferne, sirrenden Sordinen und pastösen Pastoralen könnte kaum bessere Fürsprecher finden. Was für Musik!

 

Dasselbe gilt für Honeggers «Symphonie liturgique». Venzago versteigt sich mit Blick auf das «Dona nobis Pacem», dem dritten Satz dieses Nachkriegs-Requiems, sogar dahin, von etwas vom Besten zu sprechen, was er in der Musik überhaupt kenne. Die opulente, an Dramatik reiche und an Kontrasten vielumspannende Partitur macht klar, dass auch die BSO-Bläser auf höchstem Niveau zu agieren verstehen. Der mächtige Klangkörper agiert jederzeit energetisch, aber feingliedrig, durchsichtig und in den Registern wohlausgewogen. Nicht die erklärtermassen klangmalerischen Dimensionen des Werkes rücken da in den Vordergrund, sondern die architektonische Textur, welche die Sinfonie zu einem Ereignis absoluter Musik macht.       

 

Zu hoffen ist, dass Konzert Theater Bern und Mario Venzago den Mut haben,  Programme wie dieses so lange durchzuziehen, bis sie ein möglicherweise auch überregionales Stammpublikum finden und damit auch in Sachen Resonanz legitimiert werden. Und dass die Berner Kulturpolitik dabei zumindest keine allzu grossen Steine in den Weg legt. (cf)   

 

Info:
Berner Symphonieorchester, 2. Symphoniekonzert, Freitag, 17. Oktober 2014, Kultur-Casino Bern. Werke von Klaus Huber (Beati pauperes II), Camille Saint-Saëns (Klavierkonzert Nr.5, «Ägyptisches»), Othmar Schoeck («Sommernacht» op. 58) und Arthur Honegger (Liturgische Symphonie). Solist: Jean-Yves Thibaudet (Klavier).             

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