02.09.2017 -- Songs covern? Das Normalste der Welt. Aber gleich ein ganzes Album vom Anfang bis zum Schluss? Zum 50-Jahr-Jubiläum des epochemachenden Beatles-Werk «Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band» hat’s (im Auftrag der Frankfurt Radio Big Band) Django Bates getan. Der Musiker, Komponist und Bandleader hat seit 2011 auch eine Professur an der Hochschule der Künste Bern inne (die Liner Notes zur vorliegenden CD hat er offensichtlich auch in der Schweizer Bundesstadt geschrieben). «Sgt. Pepper’s» gilt als eines der einflussreichsten und zu seiner Zeit innovativsten Poperzeugnisse. In den legendären Abbey Road Studios tüftelten die Beatles und ihr Produzent George Martin mit mittlerweile Kult gewordenen Techniken wie dem Automatic Double-Tracking (ADT), mit Veränderungen von Bandgeschwindigkeiten, ungewöhnlichen Instrumentenkombinationen und so weiter an den Liedern herum.
Veröffentliche Beiträge in “Im Gespräch”
19.08.2017 -- Kaum eine Instrumentengruppe ist so eng mit dem 20. Jahrhundert verbunden wie die Perkussion. Und weil sie ihr Selbstverständnis so eng aus der eigenen, nicht gesanglich-skalisch geprägten Klanglichkeit zieht, scheint es schwierig, sie an die Ästhetiken früherer Epochen anzudocken. Genau dies scheint aber ein Bedürfnis der Schlagzeuger zu sein, möglicherweise um aus dem eigenen Kreis (oder modern der eigenen Social Bubble) auszubrechen, um das grosse Publikum zu erreichen. Dünnes Eis wird da betreten. Man denkt an Abstürze wie Martin Grubingers Kombination von Gregorianik und Perkussion, über die man mit Vorteil das Mäntelchen der Barmherzigkeit legt. Auch Simone Rubinos Unterfangen, eine Bach-Cellosuite für Marimba zu adaptieren, drängt sich nicht gerade auf, auch wenn die Interpretationskunst des Ausnahmeschlagzeugers unbestritten hohes Niveau erreicht.
01.07.2017 -- Der israelische Mandolinenspieler Avi Avital mit ursprünglich marokkanischen Wurzeln ist unbestritten ein exzellenter Musiker. Sein Namensvetter mit ähnlicher Familiengeschichte, der Jazz-Kontrabassist Omer Avital, nicht minder. Rekombinationen mediterraner, jüdischer und volksnaher Tanz- und Gebrauchsmusik und Jazz sind en vogue. Auch das Album «Avital meets Avital» reiht sich hier organisch ein. Auf einzelnen Titeln werden die beiden von Yonathan Avishai am Klavier, dem Perkussionisten Itamar Doari und dem Akkordeonisten Uri Sharlin ergänzt. Man nimmt beim Abhören gefällige Klangmixturen und Rhythmen zur Kenntnis; vom kompositorisch eher unverbindlichen Dahinfliessen allerdings schon fast ein wenig ermüdet spitzt man dann unversehens beim letzten Titel die Ohren: ein vergleichsweise schlichtes Duo, das aber deutlich mehr zu sagen haben scheint als alles Vorangehende.
17.06.2017 -- Musikstile spezieller Volksgruppen machen in der Regel einen Unterschied zwischen ihren eigenen Musikern und Fremden, die sich ihren Stil aneignen. Sie grenzen sich gerne ab, um ihre oftmals bedrohte Identität zu wahren. Dies ist etwa im urtümlichen Blues der Fall, im Flamenco, ganz zu schweigen von den Kunstmusiken Westafrikas oder Indiens mit ihren Musikerzünften. Auch die Musik der ostjüdischen Völker, der Klezmer, kennt diesen Unterschied. Alle diese Stile haben allerdings gerade wegen ihrer Authentizität eine emotionale Tiefe, die allgemein Menschliches zum Ausdruck bringt. Gerade die Begegnungen von Insidern und Aussenstehenden schaffen deshalb eine unversal gültige Kunst von aussergwöhnlicher Kraft, man denke etwa an Paco de Lucia und Camarón de la Isla, die für den Flamenco Massstäbe gesetzt haben. Auch der Klarinettist Helmut Eisel ist ein Aussenstehender. Ihn hat Giora Feidman, der Übervater des universalen Klezmer, angeregt, in dem Stil zu komponieren, ursprünglich für ein Konzert in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.
03.06.2017 -- Verschiedene Abstimmungen rücken in der Schweiz zur Zeit die öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehkanäle ins Rampenlicht. Über ein revidiertes Modell der Gebührenerhebung hat das Volk 2015 entschieden, nun steht mit der No-Billag-Initiative eine gänzliche Abschaffung dieser Gebühren zur Debatte. Eine Motion einer Nationlratskommission verlangt überdies, dass es der SRG (Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft) verboten wird, weiterhin ihre Spartenkanäle mit Pop, Jazz, Klassik, Volkmusik sowie einen Jugendsender (Virus) zu betreiben.
20.05.2017 -- Es war im 19. Jahrhundert übliche Praxis, Orchesterwerke in abgespeckter Version anzubieten. Bedient wurden damit die Hausmusiker. Auf solche Bearbeitungen aus dem Jahr 1877 des heute praktisch vergessenen Leipziger Komponisten Richard Hofmann gehen etwa Einspielungen der beiden Chopin-Konzerte auf CD zurück, welche die kanadische Pianistin Janina Fialkowska vor gut zehn Jahren mit den Chamber Players of Canada vorgelegt hat. Diejenige zum ersten Klavierkonzert in e-Moll op.11 dient nun auch dem in Zürich tätigen Pianisten See Siang Wong und dem durch den Kontrabassisten Szymon Marciniak verstärkten Gémeaux Quartett ‒ als Basis für eine Gegenüberstellung eines Chopin-Konzertes im Taschenformat mit einer Bearbeitung von Beethovens viertem Klavierkonzert in G-Dur op. 58. Letzteres wurde um 1880 vom Augsburger Vinzenz Lachner geschrumpft. Auch dessen eigenes kompositorisches Werk ist weitestgehend der Vergessenheit anheimgefallen.
06.05.2017 -- Es gab mal eine Zeit, da wurden künstlerische Lebenswerke auch als biografische Entwicklungslinien verstanden ‒ als Wege von rebellischen, ästhetisch vielleicht kühnen, aber noch nicht vollendeten Willensäusserungen über Perioden authentischer Produktivität bis hin zu reifen, gerne auf Wesentliches reduzierten Alterswerken. Komponistenlaufbahnen werden bis weit ins 20. Jahrhundert als Reife- und Entfaltungsprozesse verstanden. Jung Verstorbene, etwa Purcell, Pergolesi, Mozart oder Schubert, muss dabei posthum als «Frühvollendeten» ein abgerundetes Gesamtwerk zugeschrieben werden. Dem Requiem eines 35-jährigen verleiht man dann wie im Falle Mozarts den Status eines todesnahen «Alters»-Werkes. Einfach abgebrochene Werklinien oder Weisheitsverweigerungen ‒ man denke etwa an Rossinis «Gefolterten Walzer» «asthmatische Etüde» oder «Fehlgeburt einer Polka-Mazurka» ‒ sperren sich allerdings gegen solche virtuellen Komplettierungen von Biografien.
12.02.2016 -- Seit der Folkbewegung der 1970er-Jahre und den damaligen programmatischen Festivals auf der Lenzburg und auf dem Gurten hat sich in der Schweiz eine Subszene formiert, welche die Volksmusik als Bühne für allerlei Tüfteleien, Neukombination und Neudeutungen nutzt. Institutionalisiert worden ist die Bewegung in den Nullerjahren des 21. Jahrhunderts nicht zuletzt dank dem Pro-Helvetia-Programm «Echos ‒ Volkskultur für morgen». Die überschaubare Szene verfügt heute über dezidierte Verlage (Mülirad), Festivals (Alpentöne, Stubete am See), Labels (Zytglogge, Musiques Suisses), assoziierte Journalisten (Christoph Fellmann, Thomas Burkhalter, Theresa Beyer und andere) und eine Hochschulausbildung (in Luzern). Das Buch «Die Neue Volksmusik» von Dieter Ringli und Johannes Rühl ist eine Art Bilanz der vergangenen rund vierzig Jahre ‒ und weit mehr als das.
03.11.2015 – In den letzten Jahrzehnten hat sich eine Art interkontinental-paneuropäische Volksmusik herausgebildet, eine eklektische, aber authentische Musik, die Motive der populären Musikkulturen von Russland über Osteuropa und den Balkan, die Mittelmeerländer bis zu den Ablegern in Lateinamerika aufnimmt. Ihr eigentümlicher Charakter und ihre Legitimation als kreative Weiterentwicklung lokaler Traditionen wird geprägt durch die freiwillige und unfreiwillige Migration als alles durchdringendes Thema. Sie verleiht diesen Klangwelten den verletzlichen und melancholischen Grundton. So sind es denn auch vornehmlich die vielfach entwurzelten Volksgruppen Europas, die ihr den Stempel aufdrücken: Roma, Sinti, Gypsys, Juden, mediterrane und osteuropäische Migranten in Kuba, Brasilien, Argentinien ‒ mit ihren eigenen Stilen wie Czardas, Klezmer, Jazz manouche, Musette, Flamenco, Fado, Mornas, Son, Tango…
14.10.2015 – Man hört sogleich Frank Sinatras Stimme, wenn von Stephen Sondheims Welthit «Send in the Clowns» die Rede ist. Er hat ihn 1973 aufgenommen und dem Komponisten damit einen festen Platz in der ewigen Bestenliste der Jazzstandards gesichert. Aufgenommen haben das Lied in der Folge so unterschiedliche Künstler wie die Diven Sarah Vaughan, Barbra Streisand und Cher, die singenden Schaupielerinnen Judi Dench und Glenn Close, der Crooner Ray Conniff und sogar Klassikstars wie Bryn Terfel und Plácido Domingo. Sondheims Musik gibt aber auch sonst einiges her. Der Komponist ist durch und durch Theatermann, entsprechend farbig, frech und emotional vielschichtig sind seine Werke.