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Veröffentliche Beiträge in “Im Gespräch”

See Siang Wongs Swiss Piano Project

Cover CD11.09.2015 – Ganze Zyklen von Auftragswerken haben Konjunktur. So schlecht ist das gar nicht, ergeben sich doch Quervergleiche, Kontraste und Bezüge, die das Verständnis zeitgenössischen Komponierens in tiefenscharfem Licht schillern und irisieren lassen. Die amerikanische Geigerin Hilary Hahn etwa hat die originelle Idee gehabt, gleich 27 Zugabestücke in Auftrag zu geben und das so entstandene Musterbuch heutiger Kompositionstechniken auf einem Album zu dokumentieren.  Pro Helvetia und der Verband Schweizerischer Berufsorchester haben unter dem Label «Œuvres Suisses» 34 Schweizer Orchesterwerke initiiert. Man kann das Engagement der Schweizer Kulturstftung dabei als eine Art sanfte Erpressung verstehen: Im Gegenzug unterstützt sie die Orchester, welche die Werke aufführen, mit einem Beitrag an Auslandtourneen, Nachwuchs- und Vermittlungsprojekte.

Olivia Trummer: Classical to Jazz ‒ One

Cover CD14.08.2015 – Die Kombination ist besetzt: Klavier und Vibraphon als Jazzduo, das misst sich irgendwie unmittelbar an Chick Corea und Gary Burton, egal welchen Stilmix und welche ästhetischen Ideen diese faszinierende glockenartige Art aus zugleich Misch- und Spaltklang bestimmt. Die beiden Grossen der Jazzgeschichte haben Masstäbe gesetzt, was rhythmische, motorische Energie und was melodische Spiellust und Erfindungsreichtum ausmachen. Das Projekt Olivia Tummers unterschiedet sich da zwar in der zweifelssohne interessanten Grundkonzeption ‒ klassische Kompositionen wie Jazzstandards als Material für eigene Ideen zu betrachten. Nur wird die Aufgabe dadurch nicht einfacher, sondern schwieriger. Sie muss nicht nur gegen die Benchmarks der zwei Altmeister anspielen, sondern sich auch noch an kompositorisch exzellentem Material messen: Wird dieses nicht auf Augen- (oder Ohren-)höhe auseinandergenommen, wird man sich fragen müssen, was gewonnen ist, wenn aus exzellenten Werken weniger exzellente destilliert werden.

Die Singphoniker singen Georg Kreisler

Cover CD31.07.2015 – Ein Klavierhumorist. Als solchen bezeichnet Wikipedia Georg Kreisler, der zeitlebends politisch, ästhetisch und gesellschaftlich zwischen allen Stühlen und Bänken sass, mit wechselnden Staatsbürgerschaften. Ein Vetriebener, politisch, in die USA ausgewandert, später zeitweilig in der Schweiz lebend, die ihm 1994 ein Cornichon zuschob (für Nichtschweizer: einen renommierten Kabarettpreis). Ein Vertriebener zeitweilig auch unter Kollegen, mit denen er ‒ sogar mit der eigenen Ex-Frau ‒ teils verbitterte Urheberrechtskriege führte. Daneben vor allem ein brandschwarzer Poet. Und ob die Idee, Tauben im Park zu vergiften, nun wirklich von ihm stammt oder doch von seinem amerikanischen Kollegen Tom Lehrer, dürfte vermutlich bloss Oberlehrer interessieren. Das modernde Fleisch am Knochen von Kreislers Kunst sind nicht Pointen, Hooklines oder Elevator Pitches, es ist seine Sprachgewalt, seine poetische Kraft und Leidenschaft. Schöne Lieder leuchten unsere Sehnsüchte aus, Kreislers wüste alles (auch das ein Plagiat; die Suche nach dem Original: Sache böser Leserinnen). Und am wirkungsvollsten in beiläufigen Nebensätzen.

Rückblick auf die Stubete am See 2014

Cover CD09.07.2015 – Die nächste «Stubete am See», das massgebende Schweizer Versuchslabor für Neue Volksmusik, gibt’s in der Zürcher Tonhalle 2016. Im festivalfreien Jahr kann man sich an den Rückblick auf die letzte Ausgabe halten, die auch denen, die den Anlass besucht haben, noch einiges zum (wieder-)entdecken bieten dürfte. Die Bandbreite ist gross. Sie reicht von vielfältigen Annäherungen an Instrumente und Melodiensammlungen der Geschichte ‒ etwa durch den Halszitherspieler Christoph Greuter oder das Ensemble Radix ‒ über die Erkundung zahlreicher Schnittstellen zu volkstümlichen Traditionen anderer Völker wie dem Tango, der Blasmusik des Balkans oder dem Blues bis zu ambitiösen Grossformationen. Zu hören sind auch Ausschnitte aus der Uraufführung einer Auftragsarbeit für das Hausensemble des Festivals, dem Ländlerorchester, für das erstmals ein Tonschöpfer im Ausland, der Wiener Tommaso Huber, einen Beitrag verfasst hat.

Schuberts Winterreise mit Klaviertrio

Cover CD19.06.2015 – Es gibt in der europäischen Musikgeschichte Werke verdichteter Vollendung einer bestimmten Ästhetik, viele davon interessanterweise Zyklen. Man denke an Bachs Kunst der Fuge und Wohltemperiertes Klavier, Beethovens späte Streichquartette, Bibers Rosenkranzsonaten, Chopins Nocturnes… Viele davon reduzieren den kompositorischen Zeitgeist ihrer Epoche in der Art einer Tuschzeichnung aufs Wesentliche und zeugen von einer Kraft, die Momente zu perfekten machen können ‒ so als ob alles zuvor und später Gehörtes abfallen müsste. Auch Schuberts «Winterreise» gehört in diese Kategorie.

Ein Wagner-Abend in Graupa

Cover CD08.06.2015 – Tribschen, das ist so ein Ort, an dem immer mal wieder seltsame Ereignisse vonstatten gehen. In Kürze (am 21. Juni) zum Beispiel ein Waldtag. Da kann man in Begleitung von Gewässerbiologen auf Schnorchel-Tour Armleuchteralgen bewundern. Tribschen war aber natürlich auch Wohnsitz Richard Wagners, und der hat dort auch einiges veranstaltet. So hat er auf einer Treppe seines Hauses zu Ehren seiner Frau Cosima ein «Idyll mit Fidi-Vogelgesang und Orange-Sonnenaufgang» (das ist O-Ton Wagner) erklingen lassen: das Siegfried-Idyll. «Fidi» steht natürlich für seinen Sohn Siegfried. Wagner-Pathos im Taschenformat.

Brasiliens Rhythmen aus erster Hand

Cover CD28.05.2015 -- Samba? Ja, was denn für einer? Duro, Cruzado, Partido Alto, De Roda, in der Variation des Schlagzeugers Edson Machado, in Dreiviertel-, Fünfachtel- oder Siebenviertelmetrum? Oder ein scheinbar so exotischer Rhythmus wie Xote («Schotschi» ausgesprochen und damit als Verballhornung von nicht ganz so exotischem «Schottisch» erkennbar ‒ auch Forrobodó, Funganga oder Suacada genannt). Oder wie wär’s mit Maracatu, Maxixe, Boi-Bumbá oder Frevo? Einer, der sich im Labyrinth der brasilianischen Rhythmen exzellent auskennt, ist der Schlagzeuger Nené (Realcino Lima Filho), der als Sideman von Grössen wie Elis Regina, Milton Nascimento, Hermeto Pascoal und Egberto Gismonti ebenso gefragt ist, wie als Produzent und Komponist in eigener Sache. Er ist heute mit einem eigenen Trio unterwegs ‒ mit dem Bassisten Alberto Luccas und dem Pianisten Írio Júnior.

Georgisches Kammerorchester Ingolstadt

Cover CD08.05.2015 – Es scheint etwas überraschend, wenn ein Georgisches Kammerorchester, das in Deutschland Exil gefunden hat, eine CD mit Musik Schweizer Komponisten auf den Markt bringt. Wie es auch dazu gekommen sein dürfte, wir nehmen es einfach einmal erfreut zur Kenntnis  Das Ensemble ist 1964 in Tiflis als Georgisches Staatskammerorchester gegründet worden und residiert seit 24 Jahren im bayerischen Ingolstadt. Seine Mitglieder sind noch immer fast ausschliesslich Georgier oder Musiker mit Herkunft aus der früheren Sowjetunion, respektive aus Osteuropa. Geprägt haben es (wie es sich selber charakterisiert) unter anderem Dirigenten wie Yehudi Menuhin und Kurt Masur. Seit Anfang dieses Jahres wird es von dem Armenier Ruben Gazarian geleitet, dem Künstlerischen Leiter des Württembergischen Kammerorchesters Heilbronn, nachdem die Zusammenarbeit mit seinem Vorgänger, einem Brasilianer, aus was für Gründen auch immer, wenig erfreulich endete.

Josef Bulva Plays Franz Liszt

Cover CD24.04.2015 -- Viele Künstlerkarrieren verlaufen heute pfeilgerade. Im vergangenen Jahrhundert sorgten unter anderem Weltkriege und Eiserne Vorhänge für teils skurril anmutende artistische Werdegänge und Musikerschicksale. Speziell trifft dies zu auf den einstigen «Staatssolisten der ČSSR» Josef Bulva, der so ziemlich alle vorstellbaren Hindernisse, denen sich ein Musiker gegenüber sehen kann, zu überwinden hatte, und dies gar mehrmals. 1971 brach er sich in den Bergen fünfzigmal die Knochen, ein Jahr später, nach endlosen Krankenhausaufenthalten, sprang er während einer Auslandstournee nach Luxemburg ab. Prompt wurde er in der Tschechoslowakei des Hochverrats angeklagt.

Argovia Philharmonic auf der Seidenstrasse

Cover CD10.04.2015 – Ein «frühes Medium einer globalisierten Welt» sei die Seidenstrasse gewesen, schreibt das Aargauer Orchester Argovia Philharmonic im Booklet zu seiner CD «Silk Road». Das ist zweifelssohne richtig, in der Musikwelt ist sie heute aber auch ein Symbol für die Ausstrahlung, welche die europäische Kunstmusik in den ostasiatischen Raum hat. Die Zukunft der hiesigen klassischen Musik scheint asiatisch, erdrückend ist mittlerweile die Dominanz vorzugsweise koreanischer und japanischer Teilenehmer an den einschlägigen Wettbewerben. Die Zeit von Kolonialismus und Imperialismus hat aber bereits im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert Komponisten hier und dort zu Reverenzen an den eurasischen Grossraum inspiriert. Argovia Philharmonic unter der Leitung des Dirigenten Douglas Bostock ist es zu verdanken, dass kaum bekannte und wenig gespielte, höchst narrative und damit emotional leicht zugängliche Werke aus dieser Tradition auch in hiesigen Orchester-Konzertreihen wieder zu Gehör gebracht werden.