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Vogtland – Heimat der Instrumentenbauer

31.08.2004 — Das sächsische Vogtland an der Grenze zu Tschechien bildete einst das Zentrum der weltweiten Produktion von Musikinstrumenten. Nach einem Jahrhundert des stetigen Niedergangs soll die Region wieder zu ihrer Bestimmung finden. Den Boden dazu legt das 1999 ins Leben gerufene einzigartige Projekt «Musicon Valley», das mittlerweile erste Resultate zeitigt.

 

31.08.2004 — Das sächsische Vogtland an der Grenze zu Tschechien bildete einst das Zentrum der weltweiten Produktion von Musikinstrumenten. Nach einem Jahrhundert des stetigen Niedergangs soll die Region wieder zu ihrer Bestimmung finden. Den Boden dazu legt das 1999 ins Leben gerufene einzigartige Projekt «Musicon Valley», das mittlerweile erste Resultate zeitigt.

«Fortschicker» nannte man die Kaufleute, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts eine goldene Nase verdienten – mit dem Vertrieb von Musikinstrumenten, die im Vogtland gefertigt wurden. Die meisten dieser Goldmarkmillionäre machten mit der Weltwirtschaftskrise in den dreissiger Jahren Pleite.

Was folgte, war für die Handwerker, denen sie die Instrumente abgekauft hatten, allerdings auch nicht viel besser: Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die «Demusa» (Deutsche Musikinstrumenten- und Spielwaren-Aussenhandelsgesellschaft) ein «Volkseigener Aussenhandelsbetrieb» des DDR-Kombinates «Musikinstrumente» die Sache in die Hände. Sie verscherbelte die Qualitätsinstrumente zwecks Devisengewinnung auch mal oft weit unter ihrem tatsächlichen Wert. Die traditionellen Familienbetriebe blutete man aus, indem man die Söhne daran hinderte, in die Fussstapfen der Väter zu treten oder die Betriebe gleich verstaatlichte.

Materialtests am Institut für Musikinstrumentenbau Zwota

Als wäre das nicht schon genug, kams nach dem Fall der Mauer auch noch zum Raubbau. Die berühmt-berüchtigte «Treuhand» übernahm die ehemaligen DDR-Firmen, westliche Interessenten weideten sie aus und bauten tausende von Arbeitsplätzen ab.

So sahen sich die Musikinstrumentenbauer in den neunziger Jahren mit einer desaströsen Situation konfrontiert: Über Jahrhunderte organisch gewachsene Strukturen waren zerstört. Hinzu kam, dass sie nicht wussten, wer eigentlich ihre Kunden waren, hatte die Demusa sie darüber doch völlig im Dunkeln gelassen. Die Demusa wiederum existierte nicht mehr, und viele ihrer Dokumente waren vernichtet worden.

Höhepunkt vor der Weltwirtschaftskrise

Während des 19. Jahrhunderts hatte die Region südlich von Leipzig geblüht: Nach dem Dreissigjährigen Krieg von protestantischen Flüchtlingen aus Böhmen gegründet, wuchs die Produktion stetig. Markneukirchen, Zentrum der Region und Stadt der Geigenbauer, zählte 1790 52 selbständige Meister, 1871 waren es 96, 1913 beherbergte der Ort 180 Geigen- und 23 Bassmacherwerkstätten.

In benachbarten Klingenthal florierte der Harmonika-Bau. 1862 wurde die «Accordeon- und Mundharmonika»-Firma J. C. Herold & Söhne gegründet, 1891 richtete Ernst Leiterd ein modernes Fabrikgebäude zur industriellen Harmonikafertigung ein, dessen Betrieb aber offenbar an Misswirtschaft und Verschwendungssucht zugrunde ging. 1907 hatten von den 1781 Harmonikafabriken Deutschlands 1395 ihren Sitz in Sachsen. Es war eine Zeit, in der die Fortschicker prunkvolle Villen errichteten, in Markneukirchen fand sich sogar ein eigenes amerikanisches Generalkonsulat.

Auf dem Scherbenhaufen soll nun allerdings ein neues, modernes Geschäft entstehen. Dazu haben sich die Produzenten der Region zusammengeschlossen. Gelegen kam ihnen eine Initiative des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung, die sich zum Ziel gesetzt hat, regionale Initiativen zur Kooperation von Forschung, Bildung und Wirtschaft finanziell zu fördern. Im April 1999 wurde dazu der Wettbewerb InnoRegio ausgeschrieben, für den 444 Projekte eingereicht wurden.

«Musicon Valley» – Investition in die Zukunft

Auf Initiative des in Markneukirchen präsenten Consulting- und Softwareunternehmens Dr. Weiss & Partner war auch das Projekt «Musicon Valley» der landläufig «Musikwinkel Deutschlands» genannten Region dabei. Neben den Produktionsbetrieben konnte das Vogtland dafür auch das in Zwota – zwischen Markneukirchen und Klingenthal – beheimatete Institut für Musikinstrumentenbau, die Rehabilitationskliniken in Bad Elster, einem Kurort der Region, mit dem Forschungsinstitut für Balneologie und Kurortwissenschaft, und den Studiengang Musikinstrumentenbau der Fachhochschule Zwickau in die Waagschale werfen, der in Markneukirchen in einer ehemaligen Fortschicker-Villa angesiedelt ist.

Unter den gerade mal 23 Projekten, die schliesslich zu InnoRegio-Geldern gekommen sind, findet sich auch das «Musicon Valley». Wie Frank Bilz, der Marketingleiter des Projektes, im Gespräch mit Codex flores erklärt, habe man im Laufe von fünf Jahren 9,2 Millionen Euro in innovative Projekte der lokalen Unternehmen stecken können. Die Prüfung sei dabei überaus streng gewesen. Beiträge gab es nur für die Hälfte der Kosten eines Projektes. Die andere Hälfte müssen die Antragssteller mit eigenem Kapital abdecken. Realisiert werden zur Zeit gut 50 Projekte mit rund 200 Partnern, die Förderquote liegt bei rund 50 Prozent.

Darunter finden sich etwa Forschungen zur Rekonstruktion historischer Musikinstrumente, die Entwicklung einer Knopfgriffblasharmonika, einer Blues-Harp oder neuer Kontrabass- und Celliformen oder die Ausformulierung eines Qualitätsstandards für vogtländische Musikinstrumente. In den Kurbädern wird zudem an der Entwicklung und Implementierung einer berufsmusikerspezifischen Prävention und Rehabilitation im Kur- und Rehabereich getüftelt. Dabei kommt es wiederum zur Zusammenarbeit mit den Handwerkern – wenn es darum geht, ergonomisch sinnvolle Lösungen für das Spielen von Instrumenten zu finden.

Die üblichen Geburtswehen

Aufbruch und Kulturwandel werden im «Musicon Valley» nicht ohne heftige Kämpfe realisiert, wie Simone von der Ohe, die Geschäftsführerin des Trägervereins im ersten Report des Projektes freimütig einräumt. «Natürlich kann man nicht verschweigen, dass nicht allezeit eitel Sonnenschein herrschte, manch unsachliche Bemerkung oder einfach nur Fehlinformation zu kritischen Situationen führte und die eine oder andere Veranstaltung in einer nervenaufreibenden Diskussion mündete».

In der Harmona Klingenthal werden wieder mehr der legendären Harmonikas der Marke «Weltmeister» gefertigt.

Der Erfolg der unternehmerischen Eigenintiative in der Region bewirkt aber, dass man den Mut fasst, altehrwürdige Traditionen wieder neu aufzunehmen. So hat man etwa begonnen, an die legendäre Bandoneon-Produktion, die 1964 eingestellt worden ist, neu anzuknüpfen. Die Musiker des argentinischen Tango werden es der Bandonion- und Concertinafabrik in Klingenthal verdanken, herrscht doch mittlerweile ein deutlicher Mangel an Originalinstrumenten aus der legendären Fabrikation von Alfred Arnold. Der Nachbau der AA-Instrumente ist allerdings trickreich, verleihen doch gerade die Unvollkommenheiten und Sperrigkeiten der historischen Instrumente dem Kultinstrument seinen speziellen melancholischen Charme.

Bandoneons nach modernen Erkenntnissen zu bauen und so die Fehler des alten Arnold auszumerzen, führte bei ersten Versuchen zu keinem Erfolg, fehlte den allzu sauberen Kisten doch eben gerade der «Mugre» – der Schmutz – wie die Tangomusiker die authentischen Rauheiten ihres Sounds bezeichnen. Vor einigen Wochen ist es laut Bilz jedoch gelungen, den anspruchsvollen Bandoneonisten ein Instrument zu präsentieren, das diese als gleichwertigen Ersatz für ihre geliebten AA akzeptieren dürften – der Bann, meint der Marketingleiter, sei endlich gebrochen.

Dr.-Köhler-Parkklinik in Bad Elster, die zum Projekt «Musicon Valley» ein Rehabilitationsprogramm für Musiker beisteuert.

Andere Industriebereiche, die im Grunde genommen Zukunftspotential hätten, sind auf der andern Seite praktisch tot und können trotz aller Bemühungen nicht mehr hochgebracht werden – etwa die Saitenproduktion, die 1940 noch 131 Betriebe zählte und den Welthandel dominierte. Sie wird heute gerade noch von einem einzigen Vertreter in Zwota am Leben gehalten: Wolfgang Frank, der 1982 beim letzten Obermeister der Markneukirchener Saitenmacher-Innung die Meisterprüfung abgelegt hat, liefert vor allem massgeschneiderte Saiten für historische Instrumente und den ganz speziellen Ton des Jazzkontrabasses.

Der schwierige Prozess der Neuausrichtung

Bei unserem Besuch der Region schienen die Spannungen zwischen Tradition und Aufbruch greifbar. Die landschaftlich überaus reizvolle Gegend wirkt idyllisch und abgelegen – obwohl sie letzteres im Grunde genommen nicht ist, liegt sie doch an den Verkehrsadern, die München mit Leipzig und Nürnberg mit Dresden verbinden. Die Menschen sind freundlich, aber auch zurückhaltend, und an der Diskretion, mit der sie etwa ihre Handwerksbetriebe in Markneukirchen ausschildern (oder eben nicht ausschildern) lässt sich ablesen, dass da ein stolzer Stand am Wirken ist, dem alles Marktschreierische im Grunde zuwider ist. Gespräche mit Persönlichkeiten wie Frank Bilz zeigen auf der andern Seite, dass das Unternehmen «Musicon Valley» viel Zugkraft entwickelt und zeitgemässe Dynamik ins Vogtland zu bringen in der Lage ist. (wb)

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