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Veröffentliche Beiträge in “Im Gespräch”

Schweizer Lieder nach 1900

Cover CDVielleicht gibt’s einen ganz einfachen Grund, weshalb der Schweizer Beitrag zur abendländischen Kunstmusik nicht als solcher mit nationaler Färbung wahrnehmbar geworden ist. Dem Schweizer qua Republikaner in einem Staatengebilde, das seine Stärken im Ausgleich von Minderheiteninteressen hat, war das nationalistische Selbstverständnis immer etwas suspekt, so zeigt sich das «typisch Schweizerische» in der Musik eben gerade auch im Eklektizismus. War die europäische Kunstmusik von Beginn im Mittelalter weg ein durch und durch europäisiertes Projekt, ist es die schweizerische in den Zeiten der sich formierenden postmonarchistischen Nationalstaaten gar als Raison d’être. Der 1889 in Baden geborene Emil Frey erlernte sein Handwerk bei Fauré und Widor in Paris und reüssierte in Berlin und Moskau; der 1896 geborene Basler Walter Lang ging nach München, der Aargauer Max Zehnder aus Turgi orientierte sich unter anderem an Hindemiths Ideen. Und der 1876 in Frankfurt am Main als Auslandschweizer geborene Marcel Sulzberger, der später als passionierter Cyclist auch mal an der Tour de Suisse teilgenommen hat ‒ wer kennt heute noch seinen Namen? ‒ formte seinen Stil in Paris und gab sich als Debussy-Schüler aus (der er nicht war), und wurde in der Schweiz vor allem vom Italiener Ferrucio Busoni gefördert.

Dvořáks Sechste mit dem Luzerner Sinfonieorchester

Cover CD26.09.2014 -- Man könnte meinen, dass das Luzerner Sinfonieorchester (LSO) als Residenzorchester des KKL seiner Heimatstadt, dem Gravitationszentrum des Lucerne Festival, Reputation sozusagen frei Haus geliefert bekommt. So ist es aber nicht, die Residenz ist eher Hypothek, misst man das städtische Sinfonieorchester doch automatisch an all den Klangkörpern, die da alljährlich im Sommer aufspielen, nichts anderes als die versammelte Weltelite, von den Wiener und Berliner Philharmonikern, den Bamberger Symphonikern, dem Concertgebouw Orchester über die grossen amerikanischen Orchester aus Chicago, Los Angeles und so weiter bis zum Mariinsky Orchester, vom Allstars-Kollektiv Lucerne Festival Orchestra ganz zu schweigen. Da muss man sich schon etwas einfallen lassen, um sich Respekt und eigenes Profil zu erarbeiten.

Spanisch-italienischer Barock auf Viola und Harfe

Cover CD12.09.2014 -- Die mediterrane Verbindung Italien‒Spanien war im Barock eine spezielle Tauschachse für Musiker und Ideen, und zwar nicht zuletzt aus einem simplen politischen Grund: Das Königreich Neapel stand im 16. und 17. Jahrhundert unter spanischer Fremdherrschaft. Viele italienische Musiker suchten ihr Glück denn auch auf der iberischen Halbinsel, allen voran Luigi Boccherini. Dabei entstand auch eine Vielfalt an Instrumentalmusik mit Anklängen sowohl an höfische Traditionen wie auch an die reichhaltige Volkskultur. Dokumentiert werden eher weniger bekannte Aspekte dabei zur Zeit vom Bratischsten Nils Mönkemeyer und der Harfenistin Margret Köll.

Ivan Ilićs The Transcendentalist

Cover CD29.08.2014 -- Eine Möglichkeit, auf dem Klavier Transzendenz zu evozieren, in dem Sinne, dass man hinter den physischen Erscheinungen eine andere, metaphysische Welt durchhallen zu hören glaubt: Ein Pedal, das Linien und Klänge so zu verwischen scheint, dass Resonanzen entstehen, Schwebungen, die sich im Notentext nicht, oder zumindest nicht an der Oberfläche finden. Das Pedal scheint denn auch das wichtigste Instrument für das Album «The Transcendentalist» des serbisch-amerikanischen Pianisten Ivan Ilić. Er versucht damit aufzuzeigen, wie die Philosophie Ralph Waldo Emersons via die Werke Alexanders Skrjabins die amerikanische Avantgarde beeinflusste. Ilićs Beleglieferanten sind neben Skrjabin John Cage, Morton Feldman und der junge New Yorker Feldman-Enkelschüler Scott Wollschleger. Wollschleger aus der Schule des Feldmaneleven Nils Vigeland ist ‒ passend zu Skrjabins sinnlichem Kosmos ‒ Syntästhetiker.

Werner Güra singt Haydns Schottische Volkslieder

CD Cover18.07.2014 -- «Schottische Volkslieder» tönt für heutige Ohren relativ unverfänglich, ja beliebig. Allerdings markieren die akustischen Kleinode den Beginn einer Ära, als erste nationale Vokalgattung, die von Johann Gottlieb Herder so tituliert wurde, noch bevor derselbige auch die deutschen Pendants als solche bezeichnete. Die «Volkslieder» waren noch vor der Französischen Revolution Indikator eines aufgeklärten bürgerlichen Selbstbewusstseins. Und genauso wie im heutigen «Volksgut» sind die Stücke des Repertoires keineswegs, ja vermutlich nicht einmal mehrheitlich das Produkt von Liebhabern aus dem Volk, sondern kunstvoll auf schlicht gedrechselte Preziosen professioneller Komponisten. In London etwa steuerten Henry Purcell und Johann Christian Bach einiges zum Topf bei, und bereits in dieser Zeit gab’s Volkliedsammlungen, die der Wahrung lokalen, regionalen und nationalen Erbes dienten.

Gábor Boldozkis Tromba Veneziana

CD Cover04.07.2014 -- Der Titel der CD weckt möglicherweise falsche Erwartungen, wie das Cover gleich selber enthüllt: «Tromba Veneziana» bezieht sich nicht auf ein historisches Instrument, die Trompete, die Gábor Boldozki an die Wange hält, ist mit ihrer Ventilmechanik von heutiger Bauart. Die Virtuosität, die er auf den Aufnahmen an den Tag legt, wäre zu Vivaldis Zeiten mit Barocktrompeten auch kaum möglich gewesen, der Rote Priester hat denn auch bloss ein Doppelkonzert für Trompete geschrieben. So ist vor allem interessant zu hören, wie ‒ teils populäre ‒ Konzerte, die für andere Instrumente geschrieben worden sind, für Violine, Flöte, Oboe, Cello, Laute oder Gesang, sich auf die moderne Trompete abbilden.

Pumeza Matshikizas Voice of Hope

CD Cover20.06.2014 -- Oper ist wie Fussball, nur anders. In den grossen Ligen der Welt kickt heute eine austauschbare Elite an Spielern, Brasilianer in Japan, Iraner in Deutschland, Spanier in England und so weiter und so fort, und an Weltmeisterschaften, wie sie zur Zeit in Brasilien stattfinden, treffen sie sich auf dem Rasen in verschiedenen Nationaltrikots, aber mit ihren Klubkollegen. Wenn immer vom völkerverbindenden Wert des Spiels geredet wird, das steckt wirklich dahinter: individuelle Leistung schlägt nationale Zugehörigkeit, die Leibchen sind austauschbar. Es gibt keine Segregation. In der Oper ist es nun eben genauso: Sie gehorcht einem Söldnersystem und unterläuft so Nationalismen.

Ein Samba-Film zur Fussballweltmeisterschaft

Filmstill

 

06.06.2014 -- Die Fussball-WM in Brasilien gibt vielen Medien Gelegenheit, das grösste Land Südamerikas von allen Seiten zu beleuchten und dabei manchmal auch bloss die alten Klischees von Sonne, Strand, Samba und Lebensfreude aufzuwärmen. Deutlich heraus sticht Georges Gachots exzellenter Dokumentarfilm, «O Samba», den das koproduzierende Schweizer Fernsehen SRF diesen Sonntag in seiner «Sternstunde Kunst» zeigt. Er porträtiert  den Sambamusiker Martinho da Vila und die Sambaschule Vila Isabel von Rio de Janeiro. Dabei lässt er einiges von der Stimmung und der Philosophie der als Gemeinschaftsprojekte angelegten Kollektive erahnen, die sich jährlich in einem harten Wettkampf messen. Die eigenständige und überaus vielfältige Musikultur Brasiliens ist ‒ darüber täuscht die entspannte Joie de vivre ihrer Exponenten nach aussen hin gerne hinweg ‒ generell eingebettet in gnadenlos leistungsorientierte Wettbewerbssysteme.

Mozart bearbeitet Bach-Klavierfugen

CD Cover23.05.2014 -- Wie Welten aufeinanderprallen. Man könnte sich ja vorstellen, dass Unglaubliches entstanden wäre, hätte das Jahrtausendgenie Wolfgang Amadeus Mozart Werke des Jahrtausendgenies Johann Sebastian Bach bearbeitet. Müsste das nicht eine Potenz der Vollendung ergeben? Vollendete Vollendung, ins Überzeitlose extrapolierte zeitlosigste Zeitlosigkeit, zur allergültigsten Gültigkeit verschmolzene Tonkunst? So ist es aber nicht. Die musikalischen Universen Mozarts und Bachs durchdringen sich nicht, sie sperren sich gegen jegliche Versuche der Deckungsgleichheit und Synergie, mit Blick auf welche Aspekte auch immer.

Klaviermusik von Blake und Nyman

CD Cover09.05.2014 -- Zwei ganz unterschiedliche Pianisten, zwei ganz ähnliche Projekte, zwei ähnliche Motivationen? In beiden Fällen erschliesst sich die Dringlichkeit nicht unmittelbar. Die Musik zweier Briten, die man da zu hören bekommt, drängt sich nicht unbedingt auf, um damit eine ganze Polycarbonatscheibe ausschliesslich zu bespielen. So «nackt» wirken die Klavierstücke, als fehlte ihnen eine Dimension ‒ sowohl denjenigen von Howard Blake, die uns Vladimir Ashkenasy andient als auch denen von Michael Nyman, die Valentina Lisitsa aufgenommen hat. Das hat einen Grund. In beiden Fällen mehr oder weniger denselben.